Vom Gangster zum Mentor

Vom Gangster zum Mentor

Ex-Gangster Maximilian Pollux im Interview

"Damn it feels good to be a gangster." Oder? Er weiß, wie es sich wirklich anfühlt, lange Zeit wollte er nämlich selbst Gangster sein und war es dann auch: Maximilian Pollux. Im Interview hat er mit uns über seine Geschichte gesprochen.

Wie lebt es sich als Gangster?

Diese Woche geht's bei uns um Gauner*innen und um Ganov*innen. Wir sprechen nicht nur über Gangster*innen, sondern auch mit ihnen. Lange war Maximilian Pollux Gangster, dafür musste er auch büßen: Fast zehn Jahre saß er hinter Gittern. Wie und warum er überhaupt in das Gangsterleben reingerutscht ist, was ihn fasziniert hat und wie er das Ganze heute sieht, erzählt er uns im Interview.
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"Früher war ich Gangster, heute hab ich Rücken"

Als junger Mann, bevor er verhaftet wurde, hat sich Maximilian ziemlich stark mit dem Gangsterleben identifiziert. Gesteigert wurde das, als er anfing, auf der Straße erkannt zu werden, in Clubs leichter reinzukommen oder auch das erste Mal richtig viel Geld in der Hand hielt.
"Ich glaub, ich bin so ein bisschen in die Falle getappt, dass ich damals gedacht hab – oh wow, das sind die letzten echten Männer. So da gibt's irgendwie den Gedanken der Ehre, des Zusammenhalts, der bedingungslosen Loyalität – auch solche Dinge wie Selbstaufopferung, Schmerzen und Leid erfahren, Gefahr spüren, Abenteuer erleben – all das hab ich damit verbunden. Und insofern war das Gangster-Sein-Wollen so ein bisschen meine Suche – das klingt jetzt plakativ aber – nach Männlichkeit, man könnte auch sagen nach dem Erwachsenwerden, nach dem Erwachsensein." - Maximilian Pollux

Maximilian wollte damals unbedingt einen anderen Lebensweg gehen – alles andere erschien ihm langweilig und schreckte ihn eher ab. Und, das sagt er heute auch, sei das Paradoxe gewesen – damals wollte er ja eigentlich einfach nur bedeutsam sein, ein Held sein. Dementsprechend ernst hat er sein Gangsterleben auch genommen. Für Maximilian war es wie ein Job – statt rumzugammeln, Drogen zu nehmen und lang auszuschlafen, war sein Alltag tatsächlich sehr strukturiert. Straftaten zu begehen war zu dieser Zeit sein Job, für den er sieben Tage die Woche gearbeitet hat. War's das am Ende denn alles wert? War das Gangsterleben genauso heldenhaft, wie er es sich vorgestellt hatte und aus Film und Fernsehen kannte?
"Ja, ich hab Abenteuer erlebt und ja, ich hatte ein spannendes Gangsterleben, aber der Preis, den ich dafür gezahlt hab, war immens. Also an seelischen Verletzungen allein für mich subjektiv, aber natürlich vor allem als Flurschaden für alles um mich herum – von Freunden, Bekannten, Familie – alles in Brand gesetzt. Und auch wenn die Filme das immer zeigen oder irgendwelche Songs schon auch so darstellen, versteht man nicht wirklich, wie hoch dieser Preis eben ist, bis man ihn zahlt." - Maximilian Pollux

Bei dem hohen Preis, den Maximilian zahlen musste, spricht er an dieser Stelle übrigens nicht von seiner zehnjährigen Gefängnisstrafe. Auf die hat er mit seinem "Job" (zumindest unterbewusst) ja aktiv hingearbeitet.
"Der Knast ist so der letzte Lackmustest: Wie ernst meinst du das Ganze denn? Änderst du plötzlich deine Meinung, wenn man dir alles wegnimmt? Wenn man dir dein Geld nimmt, deinen Schutz nimmt, deine Frau nimmt – alles, was du dir erarbeitet, hast wegnimmt? Änderst du jetzt plötzlich deine Meinung – was sehr sehr viele tun – und wirst du jetzt eben anfangen zu kooperieren? Wirst du den Kodex, nachdem du leben wolltest angeblich – wirst du den verraten?"

Mit 21 Jahren sah Maximilian eine mögliche Gefängnisstrafe genauso so – als ultimative Möglichkeit, sich als Gangster zu beweisen. Erst wenn er gegenüber der Polizei dicht halten würde und niemanden anders verraten würde, könnte er von sich behaupten, er sei ein echter Gangster, dachte Maximilian damals.

Von seinem Leben im Gefängnis und was es zum Beispiel bedeutet, Gangster zu sein, spricht er zum Beispiel auf YouTube.


Entromantisierung im Knast

Als Maximilian dann im Gefängnis saß, änderten sich seine Ansichten. Das lag vor allem daran, dass er einfach älter wurde. 
"Die Träume, die ich hatte, die romantischen Vorstellungen, die sind einfach der Realität gewichen. Es ist uncool, es ist nicht schön, es ist dreckig, es ist krank, es ist einsam, es ist die dunkle Seite der Macht und du kannst so kein guter Typ bleiben. [...] Ich wollte eigentlich ein Held sein und ich weiß noch, bei der Verhandlung hab ich mich wie ein Held gefühlt, weil ich eben die anderen Gangster nicht verraten hab und die dann dadurch weiter Straftaten begangen haben. Ja toll..." - Maximilian Pollux

Irgendwann wurde ihm dann aber bewusst, dass er eben nicht der Held in dieser Geschichte ist.

Vom Gangster's Paradise zurück in die Realität

Als Maximilian aus dem Gefängnis rauskam, war er eigentlich an dem gleichen Punkt, an dem er mit 21 Jahren hinter Gitter wanderte – nur irgendwie noch schlechter. Zu der verlorenen Zeit kamen noch Schulden aus dem Gefängnis und psychische Probleme von den Folgen der Inhaftierung und dem damit verbundenen Trauma. Man fühlt sich entwurzelt, so Maximilian, und die meisten anderen Gangster knüpfen deshalb auch genau da an, wo sie vor der Haft aufgehört haben – in der Kriminalität. Das ist ihnen zumindest vertraut. Auch für Maximilian war es sehr schwer, nicht in alte Muster und damit auch zu seiner alten Identität zurückzukehren – statt sich sein Geld über kriminelle Wege zu beschaffen, ging es für ihn zum Jobcenter. Das ist auch für das Ego nicht besonders toll – vor dem Gefängnis war Maximilian Gangster, währenddessen immerhin Gefangener – und danach? 
"Du bist eigentlich nichts. Und das ist für jemanden, der ja ein Held sein wollte und unbedingt eine Identität sich erkämpfen wollte, sehr, sehr schwierig. Und das ist für die meisten schwierig und die Gesellschaft - und da mach ich auch niemanden Vorwürfe – hat keinen Bock auf Ex-Häftlinge [...] und deswegen war es sehr, sehr schwierig." - Maximilian Pollux

Eine neue Identität finden

Maximilian wurde schnell klar, dass er das, was er in seiner Gangster-Zeit getan hatte, nicht einfach wieder zurücknehmen konnte. Ein Raubüberfall zum Beispiel hinterlässt für immer Spuren bei den Opfern – sowas kann man nicht einfach umkehren. Trotzdem wollte Maximilian irgendwas tun, etwas Gutes, das positive Auswirkungen hat. So kam ihm die Idee, andere vom Weg abzuhalten, dieselben Fehler zu machen, die er gemacht hatte. Und das geht für ihn heute am besten, indem er seine Geschichte erzählt.
"Und so ging es los - ich bin in Schulen gegangen, Wohngruppen, Jugendhäuser, hab mit einzelnen Jugendlichen gearbeitet im Bekanntenkreis. [...] Und so ist dann die Idee gekommen, weil mich niemand einstellen wollte dafür - [...] kein staatlicher Träger, kein freier Jugendhilfeträger wollte mit mir arbeiten - und da war die Idee, okay, dann machst du's eben selbst." - Maximilian Pollux

Zusammen mit Sozialarbeiterin Catherina gründete er 2019 den SichtWaisen e.V. für innovative Jugendarbeit in Mainz:
"Und das ist heute unsere Geschäftsmodell - wir haben für jeden Sozialpädagogen, den wir einstellen, haben wir einen Erfahrungsexperten der irgendwas erlebt hat, was ihn prädestiniert und was ihm Erfahrung gibt, aus der Lebenswelt der Jugendlichen zu berichten und das ist das, was ich heute mache."- Maximilian Pollux

Die Jugendlichen, denen Maximilian heute begegnet, denken ähnlich wie er früher und es geht oft um dieselben Sachen: Sich selbst beweisen, Identität finden, jemand sein. Deswegen versteht er sie und ihre Beweggründe auch immer noch sehr gut.
"Ich dachte, wenn ich alles um mich herum brennen sehe, geht's mir besser. Und die Wahrheit ist im Gegenteil, desto mehr ich verbrannt hab, desto schlechter gings mir, desto leerer war ich. Und das hat sich erst geändert, als ich das erste Mal in meinem Leben etwas gebaut habe. [...] Wenn ich das meinem 16-jährigen Ich hätte sagen können oder verständlich machen können: Versuch zu erschaffen, und nicht zu zerstören. Dann wirds dir besser gehen - dann wirst du auch diese Leere in dir selbst füllen können."- Maximilian Pollux

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