Freilernen statt Schule: Wie funktioniert das?

Freilernen statt Schule: Wie funktioniert das?

Interview mit einer Freilerner

Bei Homeschooling oder Freilernen denkt man zuallererst an Sekten oder Hippie-Kommunen. Wir haben mit einer Familie gesprochen, die weder noch ist und das Lernen zuhause praktiziert.


Den eigenen Interessen und Gefühlen folgen

In Deutschland herrscht seit 1919 die Schulpflicht. Eltern müssen ihre Kinder in die Schule schicken - ob sie wollen oder nicht. "Sie" meint in diesem Fall nicht nur die Kinder. Dieser Schulzwang sorgt bei einigen Eltern für Unmut, da einige die Schulen nicht unbedingt für die beste Bildungsinstitution für ihre Kinder halten.
  • Birgit Köck über das Freilernen
    Das Interview zum Nachhören

Birgit Köck, Mutter von drei Kindern, sieht als Alternative das Freilernen. Aber was ist das eigentlich?

"Wir [Birgits Mann und sie; Anm. d. Redaktion] gehen davon aus, dass jedes Kind lernen will und dass es keine spezielle Institution braucht, damit die Kinder das lernen, was sie interessiert."

Sie appelliert an die natürliche Neugier von Kindern. Da stellt sich die berechtigte Frage: Gilt das auch für ein Fach wie... Mathe?

"Mathe ist eigentlich ein ganz elementarer Teil unseres täglichen Lebens. Und solange man es den Kindern nicht verdirbt, haben sie auch Spaß daran." - Birgit Köck

Das stimmt. Würde man Prozentrechnung immer mit Pizzastücken veranschaulichen, wäre die Lernbereitschaft vermutlich um einiges höher. Doch es ist nicht nur die Art und Weise der Vermittlung, die Birgit kritisiert:

"Ich glaube, warum Kinder oft keine Lust mehr haben, etwas zu lernen, hängt auch damit zusammen, dass es Kinder zu einem bestimmten Zeitpunkt machen müssen. In der und der Klasse, wenn sie vielleicht aber noch gar nicht so weit sind."

Wie sieht das Freilernen dann konkret aus?

Eltern kennen sich schließlich auch nicht in jedem Bereich aus. Woher kommen also all die kompetenten Menschen, die den Interessen der Kinder nachgehen und die verschiedenen Inhalte nahebringen? 

"Ganz einfach schon aus dem Familienalltag. Unsere Freunde haben ja verschiedene Interessen und Fähigkeiten. Das ist an sich schon ein Netzwerk, über das die Kinder in Kontakt kommen mit verschiedenen Bereichen." 

In den Augen von Birgit und ihrem Mann Bernhard wäre diese Art zu Lernen ideal. Um über das Freilernen als Alternative zum konventionellen Schulsystem zu informieren, haben die beiden darum vor vielen Jahren die Initiative Bildungsfreiheit ins Leben gerufen.

"Viele Kinder und Familien leiden unter dem Schulsystem. Wir wollen Menschen darauf aufmerksam machen, dass es anders gehen kann als es jetzt ist."

In den meisten anderen Ländern ist das schließlich auch möglich. Dabei will das Paar keinesfalls das Bildungssystem revolutionieren. Es geht ihm lediglich um die Freiheit, die Kinder nicht in die Schule schicken zu müssen. Bei ihrem ältesten Sohn haben sie es versucht, da er den Schulbesuch von sich aus verweigerte. Natürlich gab es Konsequenzen.

"Wir mussten hohe Bußgelder bezahlen. Irgendwann kam das Jugendamt ins Spiel, was es noch schwieriger gemacht hat, weil es dann ums Sorgerecht ging. Das war dann der Punkt, an dem wir gesagt haben: 'Wir probieren es nochmal.'"


Kontakte knüpfen funktioniert auch in der Nachbarschaft, über Vereine und die ganze Freilerner-Community.


Mittlerweile geht der Sohn auf eine Montessori-Schule, auf der es ihm gut gefällt.
Das gern angebrachte Argument von Gegner*innen des Freilernens, die Schule sei nötig, um sich ein soziales Umfeld aufzubauen, kann Birgit nicht nachvollziehen. 

"Man wird mit 20 Kindern in eine Klasse gesteckt, nur nach den Kriterien Alter und Wohnort, und da sollen dann die Freunde dabei sein." - Birgit Köck

Betrachtet man nur die Inhalte, kann es durchaus sein, dass Kinder beim Freilernen weniger lernen als Regelschulkinder. Doch stellt sich die Frage, was davon letztendlich hängen bleibt und ob es den Stress, den Konkurrenzdruck und die Tränen wert ist. Außerdem lehrt das Freilernen die Kinder laut Birgit eine sehr wichtige Lektion:

"Ihren eigenen Interessen und Gefühlen zu folgen." 

Eine Lektion, die Nicht-Freilerner häufig erst später im Erwachsenenleben so richtig angehen, oder?

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