Christfluencer*innen

Christfluencer*innen

Die neue Generation der religösen Imagearbeit

Enthaltsamkeit statt Make Up und Konzerte statt Gottesdienst - digitales Marketing für den Glauben.


"Person, die in sozialen Netzwerken besonders bekannt, einflussreich ist und bestimmte Werbebotschaften, Auffassungen o. Ä. vermittelt." - soweit die Definition im Duden für den Begriff Influencer*in


Influencer*innen können also sein: Schauspieler*innen, Musiker*innen oder einfach nur irgendwer, der einigermaßen gut aussieht und in die Handykamera labern kann. Influencer*innen bestimmen die kommerziellen Trends im Netz. Doch tauscht man das Materielle gegen das Ideelle - also Make Up und Yogamatten gegen Werte & Lebenssinn - entsteht eine ganz neu Unterkategorie von Influencer*innen.

Als sogenannte Christfluencer*innen werden Persönlichkeiten und Gruppen bezeichnet, die im Internet und bei popkulturellen Großveranstaltungen anstatt für Produkte für das Christentum werben – und das in verschiedenster Form von Vlogs bis HipHop.


Wir haben uns mal eingelesen und dir die bekanntesten unter ihnen hier zusammengefasst:

Hillsong United

Die Band Hillsong United ist das Urgestein der modernen Chrisfluencer*innen. Und das, obwohl bei ihrer Gründung in den späten 90ern der Begriff Influencer noch ein Fremdwort war. Begleitend zur Idee der gleichnamigen Hillsong Church - einer modern-christlichen Glaubensrichtung aus Australien - liefern Hillsong United seit 1998 den Soundtrack. Fast wie abgemacht.

Mit elf aktiven und 16 ehemaligen Mitglieder*innen ist aus der einstigen Kirchenband eine popkulturelle Idee geworden, die inzwischen ein mächtiges Eigenleben entwickelt hat. Unabhängig von der Hillsong Kirche selbst spielen Hillsong United ausverkaufte Stadien. Richtig gelesen, Stadien. Mit satten 14 Live-Alben in ihrer Diskographie sind sie auf jeden Fall in ihrer lukrativen Nische angekommen. Ihre Konzerte bzw. pyrophilen Livespektakel ziehen mittlerweile bis zu 100.000 Besucher*innen aus der ganzen Welt an.

In feinster Stadion-Pop-Manier mit Fingerfarbe bemalten Akustikgitarren performen sie ihre Songs, während der Text auf dem Telepromter mitläuft.


Spielerisch animieren Hillsong United die riesigen Mengen mit ihren Woohoo-Mitsing-Refrains. Da darf dann eine Karte für den Stehbereich vor der Bühne schon mal 230 Euro kosten.

Das Bizarre daran: Sie sind Stars.

Stars, von denen man vielleicht nichts mitbekommt, wenn man sich nicht in der richtigen Bubble befindet. Mit 2,5 Millionen Abos bei YouTube und 2,3 Millionen Follower*innen bei Instagram nutzen Hillsong United Musik und dicke Liveshows als Stilmittel zur modernen Wertevermittlung.

Darin verpackt: Die Ideologie ihrer Religion. Schön mund- bzw. ohrengerecht für die Zielgruppe. Ziemlich ausgeklügelt eigentlich - sie verwandeln ihren Glauben in ein popkulturelles Phänomen.





Li Marie

Die eigentlich einzig wahre Influencerin in dieser Auswahl ist Lisa Marie alias Li Marie. Ihr Business ist es regelmäßig Videos für ihre Community zu drehen - und darin vor einem weißen Kallax Regal eines schwedischen Möbelherstellers in eine Spiegelreflexkamera zu sprechen.

Der feine Unterschied zwischen anderen YouTuberinnen wie Dagi oder Bibi und ihr ist jedoch: Li Maries Inhalte drehen sich nur um ihren Glauben.


 
Dabei variieren die Themenbereiche enorm. Während sie in der einen Woche mit ihrem Freund Lukas einen Reiseblog macht und locker vom christlichen Lebensstil erzählt, predigt sie im nächsten Moment davon, warum es doch sinnvoll wäre, keinen Sex vor der Ehe zu haben.

Ihr Idealbild ist also nicht wirklich zeitgemäß und sehr konservativ. Doch das macht sich auf den ersten Blick nicht bemerkbar, da Li Marie ihre Ideale schön koloriert in HD hinter der weichen, hippen YouTuberinnen-Fassade versteckt.


Dennoch gibt sie sich auch Mühe, um etwas kantigeren Themen auf den Zahn zu fühlen. Also das zu besprechen, was ja auch potentielle Viewer*innen interessieren könnte... wie zum Beispiel Pornos. Aber immer mit einer christlichen Grundskepsis, versteht sich. Die - nebenbei erwähnt - noch von angeblichen wissenschaftlichen Studien untermauert wird.

Das Video zum Thema Pornos wurde gleich nach Upload im gesamten Netz so sehr diskutiert, dass es nach ein paar Wochen auf ominöse Art und Weise einfach wieder verschwand. Hm, seltsam. Was bleibt sind ein paar gezeigte Ausschnitte des umstrittenen Originals im Neo Magazin Royale, in der Jan Böhmermann die skurrile Pornodebatte nochmals unter die Lupe nimmt:

Hinter Li Maries Vlog steckt aber nicht nur die passionierte Idee einer jungen YouTuberin, sondern vielmehr die internationale Vereinigung GIVICI.


GI-VI-CI, also die Global Video Church, ist eine streng christliche Gruppierung, die ganz bewusst junge YouTube-Persönlichkeiten rekrutiert, um die eigenen Inhalte zu verbreiten. Und die gläubigen Kids? Die gehen voll drauf ab.

Komisch wird es als ungeübte*r Zuschauer*in an der Stelle, wo man eigentlich den gewohnten Hinweis auf Product Placement - wie bei anderen YouTube*innen, die für eine Marke oder ein Unternehmen werben üblich - erwarten würde. Aber der kommt nie. Dafür wird nochmal betont, was es bedeutet "rein" zu sein und wie erfüllend es ist, den Alltag religiös zu strukturieren.

Kurzum: Li Marie macht mit ihrer Personality nichts anderes als emotionsgeladenes, digitales Marketing für ihren Glauben.




O'Bros

Ähnlich wie bei ihren australischen Kolleg*innen von Hillsong United christfluencen Max und Alex ihre Follower*innen mit Musik. Nur in wesentlich kleinerer Besetzung und – naja – auf deutsch.

Was sich erst mal wie ein Alman-Spin-Off liest, entpuppt sich dann auch irgendwie als solches. Dennoch fahren die O'Bros selbstbewusst ihre eigene Schiene mit ganz eigenem Sound. Die beiden Brüder machen christlichen Rap auf deutsch. Religiöse Texte auf jung und hip gemacht. Aber bitte bloß ohne dabei zu schocken.

Im Gegenteil. Die Inhalte der beiden Münchner grenzen eher an Spießertum: Smoothie statt Alkohol, täglich Sport und Gebet und bloß keine Party. Diese Message bekommt man gleich in den ersten 20 Sekunden ihres Musikvideos zum Song "Churchies" aufgedrückt.


Churchies heißt ihre Gang, mit denen Max und Alex abhängen aber auch – wie könnte es anders sein – den Gottesdienst besuchen.

In den Musikvideos der O'Bros stellen wir schnell fest, dass sie und ihre Entourage - ganz anders als das Klischee vom Bibelclub vermuten lässt - überraschend athletisch daherkommen. Im Gegensatz zu ihren seichten Rhymes...

"Was sind das für Kids, ey? Das ist doch ein Witz, ey?
Sie lesen die Bibel und machen daraus ein Mixtape!
Komm mal runter, Habibi, du hyperventilierst jo,
Chillen mit den Churchies, was geht bei dir Bro?"
- O‘Bros in ihrem Song "Churchies"

Aber auch hier ist es kein Geheimnis, warum das Gesamtpakt Erfolg hat: Sportliche, brave Mittzwanziger, die vom frommen Leben und der Bibeltreue rappen. Dazu sympathische Videos und ein vertrauenserweckendes Elmexlächeln. Das schockt wirklich nicht. Aber genau deshalb funktioniert es.

Die O'Bros nehmen das eingestaubte Gedankengut der christlichen Kirchen – also zumindest den Teil mit der Nächstenliebe – und verpacken ihn in die Musikrichtung, die seit Jahren ganz vorne in den deutschen Charts mitmischt. Zugegeben, ziemlich clever. 


Das Ergebnis: Zuspruch via YouTube und Instagram, ausverkaufte Konzerte und jede Menge neuer Anhänger*innen. Dabei darf man nicht vergessen, dass ihre Zielgruppe noch dazu weitaus jünger ist, als die O'Bros selbst. Deshalb muss auch täglich Imagepflege auf allen Social Media-Kanälen betrieben werden:

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Immer zu dritt. Gott ist der Bandleader🎤🕺🏼 . . Eins ist safe: Du bist immer mindestens zu zweit🙏🏼🕊

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Was früher also Prediger waren, die mit dem Pferd von Stadt zu Stadt ritten – regelt jetzt das Internet. Objektiv betrachtet wohl logisch. Ob man sich mit Christfluencing dann wirklich aktiv beschäftigen sollte, ist ja jedem Menschen selbst überlassen.


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