Die Ikonen von Übermorgen

Die Ikonen von Übermorgen

Wer hat heute überhaupt noch das Zeug dazu?

Prince ist tot, David Bowie ist tot, Michael Jackson ist tot, Aretha Franklin ist tot - allesamt leben allerdings durch ihr Schaffen zu Lebzeiten und mit ihrer Musik für immer. Allesamt waren allerdings auch schon Ikonen vor den 00er Jahren. Und jetzt?

Wer hat heutzutage noch das Zeug zur Ikone von übermorgen?

Klar gibt es noch diese riesigen, weltweit erfolgreichen, Stadien füllenden Künstler, die ewig auf diversen Chart-#01en rumlungern. Justin Bieber, Miley Cyrus, Ed Sheeran und wie sie alle heißen. Aber Hand aufs Herz: Hat einer von denen genug Substanz, um auch noch in 50 Jahren relevant zu sein? Nüchtern betrachtet ist das, was die leisten, eher austauschbar. Und das ist ja auch genau das, was sie machen: Der Platz in aller Munde rotiert unter gefühlt zehn Mainstream-Künstlern, die lediglich dadurch in aller Munde sind, weil sich die PR-Leute hinter ihnen immer mal wieder neue Skandale überlegen. "Hey, rasier dir doch mal deine blonden Haare ab und tanz halb nackt hier und da rum", "Hey, probier doch mal Drogen aus", "Hey, hab doch mal 'ne Affäre, durch die bestenfalls auch ein Kind entsteht". Puh, das ist jetzt leicht überspitzt ausgedrückt, verzeih's uns. Doch der Punkt ist:

Keiner von denen erweckt den Eindruck, dass sie ohne stetige Skandale überhaupt noch von Relevanz wären.

Die Musik generiert freilich Emotionen im Hörer, dafür hocken ja auch genug schlaue Köpfe hinter den Egos der Sänger, die die Grundsorgen der Menschheit lyrisch aufbereiten: schöne Liebe. Hässliche Liebe. So richtig tiefsinnig oder klanglich revolutionär sind die Songs nicht. Ikonen wie Bowie, Jackson und Prince haben nicht nur andere Künstler inspiriert, sondern auch neue Genres gestärkt und experimentelle Elemente konform gemacht.

Außerdem stechen die Bieber dieser Welt nicht wirklich mit einmaligen, starken und inspirierenden Ansichten hervor. Zum Dasein einer Ikone zählt es unter anderem auch, als Megaphon der weniger Gehörten, der Außenseiter zu fungieren und zu zeigen, dass "anders" und "Paradiesvogel" keine negativen, sondern fördernswerte Attribute sind. Womit wir schon beim nächsten Punkt wären, warum es vielen aktuellen Künstler nicht gelingen wird, zur Ikone aufzusteigen: die äußere Erscheinung, die Extravaganz. Die ist bei Cyrus und Bieber einfach gekauft. Geklaut. Zu sehr gewollt. Letztlich langweilig.

Eine Ikone zu sein heißt eben nicht nur, erfolgreich oder skandalträchtig zu sein. Da steckt mehr dahinter.


Was macht eine Ikone aus?

Nicht so einfach, das zu definieren. Beim Brainstormen kam uns folgende Checkliste in den Sinn:

  • Klaro: Talent. Aber ein unverwechselbares, also...
  • ...ein ganz eigener Klang
  • Tiefsinnige Themen behandeln
  • Inspiration geben
  • Mut haben, unbekannte Klänge voranzutreiben und neue Genres zu kreieren
  • Egozentrisches Auftreten
  • Ein extravaganter, aber sicherer Kleidungsstil
  • Hier und da mal ein Skandal (zum Beispiel ein Baby vom Balkon runterhalten...)
  • Engagement, sich für Minderheiten oder Außenseiter einzusetzen
  • Am besten nicht hinter einer großen Band stecken (Damon Albarn zum Beispiel hätte definitiv das Zeug dazu, steht in erster Linie aber hinter den Gorillaz und Blur, nicht als Damon Albarn in der Öffentlichkeit)
  • Plump und taktlos ausgedrückt: Es ist definitiv förderlich, nicht mehr zu leben
  • Und (noch plumper und noch taktloser ausgedrückt): Es ist definitiv förderlich, vor dem ersten Flopalbum zu krepieren

Dabei muss nicht jeder Punkt erfüllt werden. Wichtig ist eine gewisse Balance zwischen Talent, Skandal, Extravaganz, Engagement.


Das ganz allgemeine Problem zukünftiger Ikonen: die Vielfalt

Doch selbst wenn ein Künstler die perfekte Balance hinbekommt, ist es ehrlich gesagt nicht mehr ganz so einfach, Ikonenstatus zu ergattern, wie es noch vor 50 Jahren der Fall war. Damals gab's schlichtweg nicht so eine irre Vielfalt. Heute werden wir zugeballert mit Bands und Musikern. Heute gibt's täglich die neuen Beatles oder den David Bowie von heute. Heute können wir - wenn wir wöllten - jeden Tag einen anderen Lieblingskünstler hören, ein anderes Idol haben, eine andere Ikone anhimmeln. Bis zum Ende unseres Lebens und dann noch circa 500 Jahre oben drauf.
Wir sind so schnelllebig, dass wir gar nicht wirklich die Muße haben an Künstlern groß zu hängen, die sich mal eine mehrjährige Schaffenspause gönnen.

Bleibt aber immer noch die Frage vom Anfang: Wer hat also heutzutage noch das Zeug zur Ikone von übermorgen?

Dass wir nicht viel von den aktuellen Chartreitern halten, haben wir schon geklärt. Nichtsdestotrotz hätten wir einige Vorschläge aus dem egoSpektrum...

Die Ikonen(-wünsche) der egoRedaktion

Elise (Moderation): Jack White, Florence + The Machine & Marteria

"In 40 Jahren wird jeder Mensch auf dieser Welt Jack White kennen. Weil er bis dahin einfach in jeden doofen Ikea-Sessel seine Platten eingenäht und seinen genialen Sound around the World verbreitet hat. Und Florence + The Machine wird auch eine Ikone sein. Wer schonmal auf einem von Flos Konzerten gewesen ist, wird wissen wovon ich spreche. In 40 Jahren wird sie auch noch immer neue Songs schreiben oder ganz glamourös im Suff sterben weil sie doch wieder mit dem Trinken angefangen hat und danach will eh jeder ihre Alben haben. Marteria und Marsimoto geb ich auch gute Chancen. Marsi wird dann zwar nicht mehr über Legalize it rappen weil Cannabiskonsum eh überall legal sein wird aber Marten wird was Neues finden für das die Massen ihre Fäuste heben und bengalische Feuer zünden."

Fabian (Musikredaktion): Everything Everything

"40 Jahre in der Zukunft spielen Everything Everything höchstwahrscheinlich in Stadien und gehen auf XXL-Oparock-Welttourneen, ähnlich wie U2. Okay, vielleicht doch eher wie Radiohead, aber das reicht meines Erachtens schon, um den Ikonenstatus zu erhalten. Es schmerzt mich, der die Band bei ihrem allerersten Deutschland-Konzert vor 20 Leuten gesehen hat, zum Teil jetzt schon, wenn die Publikumszahlen steigen, doch auf der anderen Seite erhalten EvEv dann so viel mehr Möglichkeiten, sich zu entfalten. Und zum Teil merkt man das jetzt schon, dass die Qualität von Performance und Liveshow deutlich in die Höhe geht, grade beim Gesang. Der Mitschnitt vom Sziget-Festival aus diesem Jahr ist einfach umwerfend, saustark. Die Musik ist eh über alle Zweifel erhaben, gleichzeitig tanzbar und ungeheuer spannend konstruiert, mit einigen der intelligentesten Texten, die die moderne Popmusik seit langem gesehen und gehört hat.
Dadurch sprechen EvEv sowohl totale Nerds als auch 'casual listener' an - und wenn all das keine Vorzeichen für künftige XXL-Stadionshows sind, dann weiß ich's auch nicht."

Vitus (Musikredaktion): The Notwist

"Vielleicht nicht einmal weil es kaum eine andere Band gibt, die so wahnsinnig kreativ verspulte aber gleichzeitig so emotional berührende Songs machen kann. Sondern auch weil sie einfach nicht Brighton, Island, New York oder sonst irgendeinen hippen Ursprung haben, sondern aus dem von Laptop und Lederhosen verfluchten Münchner Umland kommen. Dass sogar da unglaubliche Musik entstehen kann macht irgendwie Hoffnung und deswegen wird die Band hoffentlich niemals vergessen."

Laura (Marketing): SEEED

"2058 werden wir zusammen sitzen und unsere unsere Nachkommen werden fragen: 'Könnt ihr uns nochmal das Video von eurem SEEED Konzert zeigen?' - Na klar! Dann drücken wir auf Start und ein lebensechtes Hologramm der Band erscheint in unserem Wohnzimmer. Plötzlich stehen wir neben unseren jüngeren Ichs und feiern nochmal wie damals.
Auch in 40 Jahren werden S drei E D an jedem lauen Abend, bei jeder Autobahnfahrt, dem Morgenkaffee, um aus dem Mittagstief zu kommen, gehört. Und jedes Stadion der Welt wird diese Hymnen spielen. Nur den Bundesvision Song Contest, an den verblasst die Erinnerung sehr..."

Gloria (Moderation/ Redaktion): Bon Iver & The National, beziehungsweise Big Red Machine

"In vierzig Jahren werden Bon Iver und The National Indie-Ikonen sein, wenn man so will. Im Jahr 2020 haben Justin Vernon und Aaron Dessner nämlich beschlossen, aus Big Red Machine eine dauerhafte Supergroup Bon Iver X The National zu machen. In den Songwriting-Qualitäten der Dessner Brüder gepaart mit der Experimentierfreude von Justin Vernon haben findige Musikjournalisten schon früh ein Erfolgsrezept erkannt.
Sechs Alben und viele Welttourneen später sind sie damit endgültig im Mainstream angekommen und haben den in Deutschland obligatorischen Rock Am Ring-Headline-Auftritt abgehakt. Bon Iver x The National sind es auch, die als eine der ersten Bands überhaupt ihre Alben auf dem neuen Speichermedium DNA herausbringen."

Sandra (On Air-Leitung): Beck

"Rein musikalisch gesehen haben viele Bands das Zeug dazu. Ich würde mir zumindest wünschen, dass man in 40 Jahren noch über Künstler wie Arcade Fire, Feist, Radiohead und viele weitere spricht. Die Musik alleine – so habe ich das Gefühl – reicht aber nicht unbedingt aus, um alle anderen Zeitgenossen zu überleben. Aber vielleicht schafft es ja so jemand wie Beck.
Beck, den ich zu Schulzeiten schon beim Hausaufgaben machen gehört habe, der sich von Folk, über HipHop bis hin zu Pop immer wieder verschiedener Genres bedient hat. Der außerdem mal einen Gastauftritt in der Serie Futurama hatte, fünf Grammys in der Tasche hat, sich bei einer solchen Grammy-Verleihung mal mit Kanye West angelegt hat und außerdem Scientology-Mitglied ist und somit vielleicht auch noch etwas Klatschpressen-Referenzen vorzuweisen hätte. Falls das nötig wäre, um in 40 Jahren noch bekannt zu sein. Ich wünsche es mir auf jeden Fall, dass in vier Jahrzehnten noch seine Platten in den Plattenläden stehen. Ja Platten. Denn die soll es dann bitte auch noch geben!"

Anna (Online-Leitung): Fishbach

"Oh, belächelt mich jetzt nicht, falls ihr diesen Namen noch nie gelesen habt. Klar liegt es näher, einfach Künstler wie Joe Mount von Metronomy, Andrew VanWyngarden von MGMT oder Alex Turner von den Arctic Monkeys zu nehmen, weil ihre Bands so vieles schon Mitte der 00er gerissen haben. Aber mich wurmen daran besonders drei Dinge: Weitaus weniger Leute kennen die Frontmänner mit Namen, als Menschen lediglich ihre Band kennen. Jeder davon kommt aus Amerika oder Großbritannien. Keiner von denen hat irgendwie einen Hang zum Extravaganten oder Skandalösen (nein, geschleckte Frisuren oder eine laufende Petition gegen Bartwuchs (in beiden Fällen Alex Turner) zählen nicht dazu).
Fishbach hingegen steht für sich alleine und macht alles selbst - vom Songwriting bis hin zur Produktion. Zudem kommt Fishbach aus Frankreich und ich finde die Chancen stehen nicht schlecht, dass auch der Mainstream mal wieder die Öhrchen in andere Gefilde strecken wird. Außerdem ist Fishbach eine echte Femme Fatale - die auf die Bühne, schreit, flucht und raucht. Das finde ich gut. Das finde ich ikonisch."



Welcher Künstler, welche Künstlerin von heute hat deiner Meinung nach das Zeug dazu, in 50 Jahren noch relevant zu sein? Verrat's uns via Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder per WhatsApp an die 089360550460.

Design ❤ Agentur zwetschke