Kinderschreck Märchen

Kinderschreck Märchen

...und moderne Versionen

Es war einmal eine Zeit... Die meisten von uns können sich wahrscheinlich noch daran erinnern, wie es sich angefühlt hat - warm in eine Decke eingekuschelt, den Märchen zu lauschen, die von den Eltern oder Großeltern vorgelesen wurden.

Das waren immer schöne und gemütliche Momente

Aber trotzdem haben Märchen schon immer auch diesen kalten Schauer, diese Angst und eine gewisse Traurigkeit hinterlassen. Schaut man sich die Märchen von früher mal genauer an, dann entdeckt man schon viele Aspekte, die heutzutage in Kinderbüchern nicht mehr erwünscht sind. Angefangen bei Sexismus, über Rassismus bis hin zu Gewalt, findet sich in diesen Märchen all das, was eigentlich nicht unbedingt für Kinderohren bestimmt sein sollte.

Die Märchenerzählerin Astrid Brüggemann war bei uns im Studio und hat davon erzählt, wie es ist, selbst Märchenerzählerin zu sein. Anscheinend empfinden Kinder Märchen gar nicht als so gruselig, wie wir es immer vermuten. Denn, Märchen sind nur dann furchteinflößend, wenn man schon Bilder oder Filme von der jeweiligen Situation im Kopf hat. Haben Kinder aber noch nie ein Bild davon gesehen wie es beispielsweise aussieht, wenn wie bei Aschenputtel Blut im Schuh ist, dann macht es ihnen auch keine Angst - stattdessen machen sie sich eigene Vorstellungen, die nicht so gruselig sind.

Dennoch haben wir mal in den alten Märchenbüchern gestöbert und uns ein paar Gedanken dazu gemacht...

…was an manch einem Märchen nicht stimmt

Dornröschen: Sexismus und Gewalt

Kurz zusammengefasst geht es in Dornröschen um eine Prinzessin, die von einer Fee einen bösen Fluch auferlegt bekommt: Sobald sie fünfzehn Jahre alt ist, wird sich die Prinzessin mit einer Spindel in den Finger stechen und tot umfallen. Eine gute Fee wünscht ihr stattdessen nur einen hundertjährigen Schlaf. Nachdem schon viele Jahre im Schlaf vergangen sind, kommt ein fremder Prinz und küsst die schlafende Prinzessin wach. Früher empfand man das schlichtweg als sehr romantisch. Aus heutiger Sicht kann das Märchen um Dronröschen auch anders betrachtet werden.
Zunächst ist der Fluch, der die Prinzessin durch einen Spindelstich töten soll, sehr gewaltsam. Außerdem kommt der Prinz, der das Mädchen wach küsst einfach in ihr Turmzimmer um sie wach zu küssen, völlig ungefragt. Für die heutige emanzipierte Frau kann das äußerst sexistisch erscheinen. Was maßt sich diese Prinz an, einfach ungefragt eine Frau zu küssen, die das vielleicht überhaupt nicht möchte?

Hänsel und Gretel: Mord

Mordlust pur findet sich auch in einem der bekanntesten und beliebtesten deutschen Märchen - Hänsel und Gretel.

Zunächst will die neue Frau des Vaters die Geschwisterkinder im Wald aussetzen, damit sie dort verhungern oder von bösen Tieren gefressen werden. Tatsächlich verirren sie sich im tiefen, dunklen Wald. Irgendwann kommen sie an ein Pfefferkuchen Haus, wo sie liebevoll von einer Hexe empfangen werden. Diese stellt sich aber als böse heraus und möchte die Kinder mästen und aufessen. Am Ende dreht sich die Geschichte zum Guten für die Kinder - sie verbrennen im letzten Augenblick die Hexe selbst und töten sie, um das eigene Leben zu retten. Klingt im ersten Augenblick taff und mutig, im zweiten Moment eher ziemlich brutal. Woher diese Mordlust und was soll sie kleine Kinder lehren?

Das Ganze Märchen gibt's dann auch noch als Kinderlied. "Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald, es war so finster und auch so bitterkalt..."

Aschenputtel: Hass, Mobbing, Gewalt und Sexismus

Zuletzt nochmal eine richtig harte Nuss: Aschenputtel. In diesem Märchen ist scheinbar alles vereint, was es an grausamen menschlichen Eigenschaften gibt.

Aschenputtels Mutter stirbt und kurz darauf heiratet ihr Vater eine neue Frau. Gemeinsam bekommen sie zwei Töchter. Die beiden werden von elterlicher Liebe nur so überschüttet. Aschenputtel hingegen wird furchtbar behandelt und von ihren Halbschwestern gemobbt. Als es eines Tages einen Ball gibt, zu dem der Prinz vorbeikommt, um sich eine Frau auszusuchen, geht Aschenputtel dort heimlich in einem wunderschönen Kleid hin und zieht den Blick des Prinzen auf sich. Nach der Feier versteckt sie sich aber zu Hause, um  nicht bemerkt zu werden.

Weil der Prinz sie aber heiraten möchte, bestreicht er am dritten Abend des Balls die Treppe mit Pech, dass der Schuh des Mädchens kleben bleibt und er sich damit auf die Suche nach ihr begeben kann. Eine der Stiefschwestern ist so neidisch, dass sie sich die Zehen abschneidet, um in den Schuh zu passen. Am Ende fliegt alles auf und der Prinz heiratet Aschenputtel.

Das Ende ist zwar schön, aber lenkt nicht davon ab, wie sexistisch es ist, dass der Prinz sich selbst seine Frau aussuchen kann - ohne diese auch nur zu fragen, ob sie das überhaupt möchte. Außerdem ist es unglaublich brutal, dass sich die Halbschwester ihre Zehen abschneidet, nur um einem Mann zu gefallen.



Manche Eltern halten es heute für keine gute Idee mehr, ihren Kindern Märchen vorzulesen.

Die aufgelisteten Märchen waren jetzt nur drei von zahlreichen dieser Art. Es sei nur an den Struwwelpeter gedacht, an Rotkäppchen oder an Brüderlein und Schwesterlein.

Weil es heutiger Pädagogik einfach nicht mehr angemessen zu sein scheint, solch grausame und beängstigende Thematiken in Kinderbüchern aufzugreifen, gibt es moderne Märchen.

Sie sind, was die Wortwahl angeht, im Stil der alten Märchen geschrieben, behandeln aber moderne Themen. Obwohl sie spannend sind, sind sie keineswegs brutal, sexistisch oder hassgeladen, sondern so liebevoll geschrieben, wie es auch gewöhnliche Kinderbücher sind. Vorsichtig, um den Kindern keine Angst einzujagen. Online gibt es sogar Anleitungen, wie man selbst Märchen umschreiben kann, damit sie lockerer, weniger gruselig und moderner werden. Der Anfang von Hänsel und Gretel würde dann in etwa so klingen:
"Hänsel und Gretel sind Waisenkinder. Ihre Mutter ist vor einiger Zeit gestorben. Die Stiefmutter ist böse und vernachlässigt beide Kinder.So beschließen die beiden Geschwister von zu Hause wegzulaufen.Sie gelangen in eine große Stadt. Dort gibt es viele Geschäfte, Autos und große Häuser. Hänsel und Gretel gefällt es in der Stadt. Doch sie haben kein Geld und sind ganz allein. In der großen Stadt kennen sie sich nicht aus. Es wird finster und ruhig in der Stadt. Die Kinder haben Hunger und frieren. Gretel ist verzweifelt und weint.Plötzlich hält ein roter Ferrari vor ihnen. Ein freundlicher in Leder gekleideter Mann lädt die beiden ein mit ihm zu fahren." - Kidsnet

Außerdem sind fast immer Männer die Märchenhelden

Obwohl Frauen in der Rolle von Stiefmüttern und Prinzessinnen oftmals Hauptrollen in Märchen zugeordnet bekommen, besteht ihre hauptsächliche Funktion doch immer nur darin, ihre Männer oder den Traumprinzen anzuhimmeln. Man denke nur an Rapunzel, Schneewittchen und Aschenputtel.

Dieses Problem ist auch der Journalistin Elena Favilli und der Schriftstellerin Francesca Cavallo aufgefallen. Kurzerhand beschlossen sie, dass sich das ändern muss und drehten ein Video als Crowdfunding-Kampagne. Äußerst erfolgreich. Inzwischen haben sie sogar gemeinsam ein Buch namens Good Night Stories for Rebel Girls geschrieben. Darin finden sich Geschichten über Mädchen und Frauen, die Heldinnen sind. Ziel ist es, kleinen Mädchen zu zeigen, dass auch sie stark und heldenhaft sein können und nicht nur die Märchenprinzen. Die deutsche Übersetzung des Buches ist inzwischen auch erhältlich.




Es trug sich nun aber damals zu, dass unsere Eltern und Großeltern uns die Märchen der Gebrüder Grimm vorlasen

Vielleicht sogar ein wenig aus erzieherischen Zwecken. Wir hatten dann den bösen Wolf im Kopf, der irgendwo auf uns lauert, die fiesen Stiefmütter, die es geben kann, die Brutalität dieser Welt. Wir wurden nicht derart verschont wie die Kinder von heute und trotzdem waren die Märchen damals ganz schön heftig für unsere Kinderohren. Aber hat uns das auf Dauer geschadet? Würden wir die Märchenstunden missen wollen?

Weil wir damals nicht vor Angst gestorben sind, leben wir noch heute.



Zum Thema hatten wir übriegns auch eine echte Märchenerzählerin zu Gast. Die Interviews kannst du hier nachhören...
  • Märchenerzählerin Astrid Brüggemann zu Gast bei Lola
    Das Interview zum Nachhören
  • Märchenerzählerin Astrid Brüggemann zu Gast bei Elise
    Das Interview zum Nachhören

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