Skurrile Grenzen

Skurrile Grenzen

Die seltsamsten Grenzen der Welt

Von  Viktoria Molnar
Politische Grenzen, administrative Grenzen, Wirtschaftliche Grenzen, Zollgrenzen, Grenzen von Eigentum: Wir stellen dir fünf der seltsamsten Grenzen der Welt vor.

Grenzenlos anders

Grenzen setzen, Grenzen einreißen - Grenzen trennen uns Menschen, machen aber auch klar, bis wohin man gehen darf. Sie signalisieren: Bis hierher und nicht weiter. Manchmal verfehlen Grenzen auch komplett ihr Ziel und verwirren eher, als das sie verdeutlichen. Einige davon haben wir dir hier einmal herausgesucht:

Wirrwarr von Baarle-Hertog und Baarle-Nassau zwischen Niederlande und Belgien

Die Gemeinden von Baarle-Hertog in Belgien und Baarle-Nassau in den Niederlanden werden von der vermutlich komplexesten Grenzsituation der Welt getrennt - etlich viele Grenzen ziehen sich durch den Ort, welcher aus 30 Enklaven besteht - kleine Landesteile, die von niederländischem Gebiet umgeben sind. Wie ein Puzzle auf der Landkarte. Wer hier noch durchblickt? Kaum jemand. Um die Grenze aufzuzeigen, sind weiße Kreuze in den Boden eingelassen - auf der einen Seite davon der Buchstabe B, auf der anderen die Buchstaben NL. Was aussehen mag wie eine Kunstinstallation, signalisiert: Jetzt betrittst du einen anderen Staat. War man gerade noch in Belgien, steht man an der nächsten Straßenecke schon in Holland. In zehn Minuten kann man über 30 Grenzstellen überschreiten. 

Seinen Ursprung hat das Grenzen Wirrwarr im Mittelalter aufgrund eines Streits zwischen eines Grafen und eines Herzogs. Nach der Nationalstaatsgründung fielen Teile dann davon den Niederlanden und andere Teile Belgien zu. Die Grenze verläuft heutzutage durch Gärten, Häuser und Wohnzimmer. Restaurants schließen auf der einen Seite früher, die Besucher*innen setzen sich dann einfach um. Verläuft die Grenze durch Häuser, haben diese zwei Adressen und müssen in beiden Ländern anteilig Steuern zahlen. Es sind also vor allem die Behörden, die sich mit diesem geografischen Puzzle schwertun. Die Bewohner*innen der Stadt hingegen haben sich mit der eigenwilligen Situation arrangiert: Jugendliche gehen in belgische Kneipen, da man hier schon ab 16 Jahren legal Bier trinken kann und Eltern bringen ihre Kinder in belgische Kindergärten, da hier schon Kinder ab zweieinhalb Jahren zugelassen sind. Der Bürgermeister Frans de Bont drückt die Stimmung so aus: 
"Wir sind stolze Europäer*innen und wollen zeigen, wie eine Welt trotz Grenzen ohne Hindernisse funktionieren kann." -Frans de Bont 

Eine offene Stadt trotz Grenzen - ganz schön vorbildlich.


Ballett der Grenzsoldaten zwischen Indien und Pakistan

Jeden Abend kommen schaulustige Inder*innen im Dorf Attari in Stimmung für eine ganz spezielle Zeremonie: Das Ballett der Grenzsoldat*innen oder auch die Grenzschließung von Attari-Wagah, ein Grenzübergang, der täglich geöffnet ist bis 17 Uhr, im Winter eine Stunde kürzer. Hinter dem Tor da liegt Pakistan. Und jeden Abend zu Sonnenuntergang zeigen die Soldaten und Soldatinnen, wie wenig ihnen das passt. Als Inszenierung zumindest. Wie Hähne bereit zum Kampf stehen die Soldat*innen voreinander: Fächer auf dem Kopf wie Hahnenkämme, reißen sie ihre Füße in die Luft und stampfen auf den Boden. Sie tanzen und sehen dabei fast ein bisschen so aus wie die Mitarbeitenden des Ministeriums für alberne Gangarten aus dem Sketch von Monty Python. Die Menge jubelt. 13.000 Zuschauer*innen strömen auf der indischen Seite jeden Tag in das Stadion, welches extra für dieses Spektakel gebaut wurde. Die Ränge Pakistans sind weitestgehend leer. 

1947, als Pakistan sich von Indien abspaltete, da wurde der Bundesstaat Punjab in zwei Teil gerissen. Millionen Menschen mussten fliehen. Die Grenze ist seitdem heftig umkämpft. Sie ist so stark beleuchtet, dass sie nachts sogar im Weltraum erkennbar ist. Attari-Wagah ist der einzige Grenzübergang zwischen dem indischen Amritsar und dem pakistanischen Lahore. Eingeführt wurde die Zeremonie 1959, um die Erzfeinde zu verbinden und findet seitdem jeden Abend statt, selbst als Indien und Pakistan andernorts Konflikte sogar bewaffnet austrugen. Wenn doch nur auch diese Konflikte im Tanz ausgetragen werden könnten.



Friendship Park zwischen USA und Mexiko

An der Grenze zu Mexiko spielen sich tagtäglich Dramen ab. Menschen stürzen meterweit in die Tiefe, Schüsse fallen - pro Jahr sterben hier zwischen 250 und 500 Menschen bei dem Versuch, in die USA zu flüchten. Wer es schafft, wird zwar oft geduldet, kann das Land aber nicht mehr verlassen. Der Zaun trennt dabei zuverlässig: Familien, Freund*innen und Liebende. Um diese Trennung leichter zu machen, wurde 1971 an der Grenze zwischen San Diego und Tijuana der sogenannte Friendshippark eröffnet, um Gespräche und Berührungen zwischen Geflüchteten und Zurückgebliebenen zu ermöglichen. 

Doch die Realität sieht heutzutage anders aus: Dieser Park wird 24 Stunden, sieben Tage die Woche überwacht - zumindest auf der Seite der USA. Er ist samstags und sonntags für nur vier Stunden jeweils geöffnet. Wo man früher Volleybälle über den Zaun gebaggert hat, ist es heutzutage strengstens verboten, jede noch so kleine Sache durch den Zaun zu stecken. Der Versuch ist mittlerweile sowieso zwecklos, da das Gitter des Zauns so engmaschig ist, dass sich nur die kleinen Finger der Liebenden berühren können. Trotzdem treffen sich hier Familien, sie grillen - wer herkommt, der kann die Trennung vielleicht ein wenig leichter verkraften. 

Als die ehemalige Präsidentengattin Pat Nixon den Park 1971 eingeweiht hatte, soll sie gesagt haben: "Ich hoffe, dass dieser Zaun nicht lange bleiben wird". Wie sehr sie sich geirrt hat, zeigen die Pläne der Biden Regierung: Trumps Mauer soll weitergeführt und der Friendship Park somit geschlossen werden. Wollte da nicht eigentlich jemand Brücken bauen statt Grenzen schaffen?

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    Das Wirrwarr von Baarle-Hertog und Baarle-Nassau
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    Ballett der Grenzsoldaten zwischen Indien und Pakistan
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    Friendship Park zwischen USA und Mexiko
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    Zipline zwischen Spanien und Portugal
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    Treppenabsatz zwischen Frankreich und der Schweiz

720 Meter mit 80 km/h zwischen Spanien und Portugal

Im Süden Europas gibt es eine Grenze, die ist nicht nur die älteste der Welt, sondern vermutlich auch die Einzige, über die du mit rund 70 Stundenkilometern von einer Zeitzone in die nächste schweben kannst. Denn die Orte Sanlucar de Guadiana in Spanien und Alcoutim in Portugal sind mit einer Zipline verbunden.  

Du steigst also im Süden Spaniens auf genau diese Zipline, es ist gerade 16 Uhr, hängst dich ein und fliegst los. 

Eigentlich besteht hier keine wirkliche Grenze mehr, weil das Schengen Abkommen die beiden Länder seit 1986 verbindet. Trotzdem ist Spanien das einzige Land, das überhaupt über eine Grenze zu Portugal verfügt und die ist im Jahr 2022 rund 725 Jahre alt - also die älteste Grenze Europas. 

Diese Grenze trennt auf über 1200 Kilometern Spanien von Portugal, die letzten 120 davon schlängelt sich der Rio Guadiana als Grenzfluss langsam vom Westen kommend in den Süden.
Auch du schwebst bei deinem Flug über die Grenze über 720 Meter hinweg, ungefähr 40 Sekunden lang. Dann stehst du plötzlich in Portugal, schaust aufs Handy und es ist 15 Uhr.

Du hast dir mental eine Stunde gespart und bist geflogen. Wenn es doch nur immer so einfach wäre, Grenzen zu überwinden.


Treppenabsatz zwischen Frankreich und der Schweiz

Zweiter Weltkrieg: Soldaten des Deutschen Reichs sitzen in einem Hotelzimmer in Frankreich und beraten ihr weiteres Vorgehen im Krieg. Im Nebenzimmer sitzen französische Rebellen und belauschen sie. Auf dem Weg zum Essen begegnen sie sich an der obersten Treppenstufe, doch ihnen allen sind die Hände gebunden - denn: Eine Grenze trennt sie. 

Das Hotel Arbez steht nämlich im Örtchen La Cure mitten auf der Grenze zwischen der damals neutralen Schweiz und dem besetzten Frankreich. Die Grenze führt hier durch den Speisesaal, das Treppenhaus und teilweise auch mitten durch das Bett in einigen Zimmern. Und das nicht ohne Grund: Das Gebäude des Hotels wurde 1863 von dem raffinierten schweizer Geschäftsmann Ponthus erbaut - zur Zeit eines Grenzstreits zwischen Napoleon Bonaparte und der Schweiz. Ponthus, der nebenberuflich als Schmuggler tätig war, wollte seinen Vorteil aus der Situation ziehen und baute auf den schweizer Teil einen Laden, um im Handel zu profitieren. Auf den französischen Teil stellte er eine Gaststätte. Seine Söhne erbauten nach dessen Tod das Hotel und somit kam es zu dem sonderbaren Umstand, dass die deutschen Truppen zur Zeit der Besetzung Frankreichs nur in den französischen Teil des Hotels und in die Brasserie durften. Die oberen Stockwerke blieben ihnen verwehrt, da die letzten Treppenstufen in die Schweiz führten. Ein Umstand, den der vorletzte Besitzer Max Arbez ausnutzte, um jüdischstämmige Menschen zu verstecken oder sogar beim Grenzübertritt zu helfen. Nicht nur raffiniert, sondern lebensrettend also.

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