Paragraph 218 und 219 StGB

Paragraph 218 und 219 StGB

Seit 1871 werden Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch geregelt

Von  Miriam Fischer
Vor rund 150 Jahren wurde der Paragraph 218 StGB eingeführt - das sogenannte Abtreibungsverbot. Grund genug mal einen Blick darauf zu werfen, was sich seitdem verändert hat und wie Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland aktuell geregelt sind.

Schwangerschaftsabbrüche werden in Deutschland in Paragraph 218 und 219 des Strafgesetzbuches geregelt, das bedeutet also: Sie gelten als Straftat. Diese Tatsache allein ist für viele inakzeptabel - aber obwohl sich der Paragraph in der Vergangenheit immer wieder verändert hat, abgeschafft wurde er (bisher) nicht. 

Die Geschichte des Paragraphen 218 StGB

1871 wurde der Artikel 218 - das sogenannte Abtreibungsverbot - in das Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs aufgenommen und den Tötungsdelikten zugeordnet. Und das, obwohl es sich aus Sicht der Rechtslehre aufgrund des Sonderstatus des ungeborenen Lebens eigentlich nicht um ein Tötungsdelikt handeln konnte. Trotzdem drohte Schwangeren, die eine Abtreibung durchführten oder durchführen ließen, eine Strafe von bis zu fünf Jahren Zuchthaus.

Weimarer Republik

In der Weimarer Republik wurden der Paragraph 218 gemildert: Damals waren Abtreibungen straffrei, wenn die Gesundheit der schwangeren Person gefährdet war - man spricht hier auch von medizinischer Indikation.

Nationalsozialismus 

Die Lockerungen aus der Weimarer Republik wurden während der NS-Zeit rückgängig gemacht. Unter bestimmten Umständen drohte nach einem Schwangerschaftsabbruch sogar die Todesstrafe.

Nach dem Krieg wurden wiederum diese Verschärfungen revidiert: Im Falle einer medizinischen Indikation war der Abbruch sowohl in der BRD als auch in der DDR wieder straffrei - ansonsten wurde der Paragraph allerdings unverändert übernommen. 

Reformen

DDR:

In der DDR wurde es Schwangeren ab 1972 erlaubt, innerhalb der ersten 12 Wochen der Schwangerschaft eigenständig über deren Fortsetzung beziehungsweise Abbruch zu entscheiden - das war weltweit erstmalig. 

BRD:

In der BRD wurde das Indikatoren-Modell 1976 erweitert: Eine Abtreibung war nach wie vor illegal, nach Besuch eines Beratungstermins und einer Indikation allerdings straffrei. Akzeptiert wurden vier Indikationen:
  1. Medizinisch - Gefahr für die schwangere Person
  2. Eugenisch - Gefahr für das Embryo
  3. Kriminologisch - Schwangerschaft durch Straftat
  4. Notlage - Soziale oder persönliche Probleme


Rechtswidrig, aber straffrei

Nach der Wiedervereinigung wurden beide Regelungen weitestgehend kombiniert. Konkret gilt damit seit 1995 die Fristenregelung, wonach ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen straffrei ist, wenn die schwangere Person an einem Beratungsgespräch - der so genannten Schwangerschaftskonfliktberatung - teilgenommen hat. Zwischen dem Abbruch und der Beratung müssen allerdings mindestens drei Tage "Bedenkzeit" liegen. Rechtswidrig ist der Abbruch dennoch.

Nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt.

Aus rechtlicher Sicht beginnt eine Schwangerschaft übrigens erst nach der abgeschlossenen Einnistung einer befruchteten Eizelle - ungefähr am zehnten bis 14. Tag nach der Befruchtung. Das Verhindern der Einnistung der Eizelle, zum Beispiel durch die Pille danach, gilt dementsprechend nicht als Schwangerschaftsabbruch. 

219a

Auch Paragraph 219a StGB - das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche - ist (vor allem seit dem Prozess von Kristina Hänel 2017) Mittelpunkt vieler Debatten. 

Die Frauenärztin Kristina Hänel wurde damals zu einer Geldstrafe verurteilt, weil die Informationen auf ihrer Homepage als "Werbung" für Abtreibung eingestuft wurden. Gleichermaßen problematisch wie absurd ist allerdings, dass dieses Werbeverbot aus einer Zeit stammt, in der es die Beratungspflicht für Schwangere noch nicht gab - genau genommen 1933, also zur Zeit des Nationalsozialismus. Heute, in einer Zeit in der Frauen - zumindest nach einem Beratungstermin - selbst entscheiden können, ob sie ein Kind bekommen wollen, oder nicht, muss es auch die Möglichkeit geben, sich bei einem solchen Termin umfassend von Ärzt*innen informieren zu lassen.

Anfang 2019 wurde der Paragraph 219a reformiert

Seit dem dürfen Praxen beziehungsweise Ärzt*innen zwar darüber informieren, dass sie Abtreibungen durchführen, alle weiteren Informationen - vor allem über Methoden und Praktiken - sind aktuell aber noch durch Paragraph 219a verboten. 

Das Bundeskabinett hat allerdings am 9. März 2022 die Abschaffung dieses Paragraphen beschlossen. Bundesfrauenministerin Anne Spiegel (Die Grünen) sagte dazu: 

"Schwangere, die überlegen, die Schwangerschaft abzubrechen, brauchen individuelle Beratung und Unterstützung – und keine Verbote. Jede Frau soll sich online direkt bei ihrer Ärztin oder ihrem Arzt sachlich informieren können, welche Methoden zum Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden und auch welche Fristen und Regelungen zu beachten sind." - Anne Spiegel

Der Beschluss muss jetzt noch von Bundestag und Bundesrat beraten werden, eine Mehrheit für die Streichung gilt aber als sicher. Widerstand wird nur von der Union und von der AfD erwartet. Von dieser Seite aus heißt es, eine Streichung des "Werbeverbots" würde die grundrechtliche Verpflichtung seitens des Staates, auch das ungeborene menschliche Leben zu schützen, missachten - das Bundeskabinett sagt aber klar, Paragraph 219a sei nicht Teil des verfassungsrechtlich gebotenen Lebensschutzkonzepts. Vielmehr sieht die Mehrheit in der Streichung eine längst überfällige Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen.

Anpreisende Werbung ist durch das Berufsrecht übrigens sowieso ausgeschlossen: Also auch wenn es nach Streichung von 219a Ärzt*innen endlich möglich ist, umfassend über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, wird es keine "Werbung" im eigentlichen Sinne für Abtreibungen geben - eine realitätsferne Angst, die Befürworter*innen des Paragraphen immer wieder äußern.

Auch wenn Ärzt*innen bis zur endgültigen Streichung noch nicht ausführlich informieren dürfen - jede*r andere darf es

Umfassende Informationen und Hilfe gibt es zum Beispiel auf abtreibung-info.org.


Die Fronten in den Debatten um das Abtreibungsverbot sind seit Jahren verhärtet

Aber ganz abgesehen von religiösen Gründen, Argumenten wie Bevormundung und dem Recht auf Selbstbestimmtheit oder gravierenden Problemen wie Stigmatisierung und Mangel an Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen - es gibt zwei elementare Fragen, die jede schwangere Person beantworten muss, um für sich eine Position einnehmen zu können:
  • Wann beginnt in meinen Augen Leben?
  • Was wiegt für mich mehr: Das Recht des (ungeborenen) Kindes, oder das Recht der schwangeren Person?

So kann jede Schwangere für sich selbst eine Entscheidung treffen - und nur dort sollte die Entscheidungsfreiheit auch liegen.

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