K wie Konsumkritik

K wie Konsumkritik

egos4future - Von A bis Z

Von  Miriam Fischer
Jeder Buchstabe ein Thema: Wir fassen die Basics zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zusammen. Diese Woche: K wie Konsumkritik.


Wir konsumieren so viel wie nie zu vor:

Die Konsumausgaben pro Kopf steigen im Schnitt jährlich - lediglich die Corona-Pandemie hat kurzweilig dafür gesorgt, dass wir weniger Geld für Konsumgüter ausgeben. Rein rechnerisch besitzt jeder Haushalt mehr als zwei PKWs und vor der Pandemie meldete der Flugverkehr regelmäßig neue Rekordzahlen. Wir leben über unsere Verhältnisse hinaus, das zeigt auch der Earth Overshoot Day, der dieses Jahr bereits am 29. Juli war. Würden alle Menschen so konsumieren und wirtschaften, wie die Deutschen, bräuchten wir für die benötigten Ressourcen knapp drei Erden:


Mit dem wachsenden Fokus auf der Klimakatastrophe wird auch die Konsumkritik in nahezu allen Lebensbereichen immer lauter. 

Jeder Kassenzettel ein Stimmzettel

Die Politik setzt im Kampf gegen die Klimakatastrophe bisher größtenteils auf freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen. Die Unternehmen hingegen sagen, sie richten sich nach dem Verhalten der Verbraucher*innen, bei denen deswegen aktuell ein Großteil der Verantwortung liegt. Die Konsequenz dieser Verantwortung ist die Konsumkritik - immer wieder heißt es: Du selbst entscheidest mit deinem Verhalten über die Zukunft des Planeten. Die Bio- und Fairtrade-Branche, ebenso wie unzählige Autor*innen, Aktivist*innen und Influencer*innen sagen, dass sich die Konsument*innen ändern müssen, um den Planeten zu retten. 

Das stimmt zu gewissen Teilen: Wir leben in einer kapitalistischen Weltordnung, die auf Gewinnmaximierung und Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist und unser Konsumverhalten hat dementsprechend extreme Ausmaße angenommen. Darunter leidet die Umwelt und große Teile der Weltbevölkerung extrem. Ziel der Konsumkritik ist es, die Gesellschaft hin zu einem reduzierten, nachhaltigen und kritischen Konsumverhalten seitens der Verbraucher*innen zu verändern. So soll die Klimakatastrophe begrenzt werden. Jeder Kassenzettel ist dabei eigentlich wie ein Stimmzettel, heißt es deswegen auch oft. 

Aber wie groß ist der Einfluss von individuellen Kauf- und Verhaltensentscheidungen tatsächlich wenn es um die Rettung des Planeten geht?


Konsumkritik überschätzt die Macht der Einzelnen

Um die Klimakatastrophe zu stoppen, sollen Konsument*innen möglichst bio, regional, fair, nachhaltig, gebraucht, plastikfrei und vegan einkaufen. Sie sollen Strom sparen, mit dem Fahrrad fahren und auf Flugreisen verzichten. Diese Appelle tragen Früchte und in Teilen der Bevölkerung wächst das Bewusstsein für Klimaschutz und Nachhaltigkeit tatsächlich. Immerhin sind Fair Fashion Mode, vegane Ernährung und bewusster Konsum auf dem Vormarsch - trotzdem erreichte die CO2-Konzentration in der Atmosphäre im Jahr 2020 allerdings einen neuen Höchstwert, wie ein Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) zeigt. Der Anstieg im Vergleich zu 2019 war - trotz Pandemie und wochenlangen Lockdowns - höher als in den vergangenen zehn Jahren. 

Der Plan, allein durch grünen Konsum das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, geht also nicht auf. Und das liegt unter anderem an diesen zwei Dingen:


1. Viele Verbraucher*innen fühlen sich ohnmächtig und überfordert

Die breite Gesellschaft ist zwar theoretisch offen dafür, den eigenen Konsum nachhaltiger zu gestalten - in der Praxis mangelt es aber oft noch an der individuellen Umsetzung. Verbraucher*innen werden durch heuchlerische Werbeversprechen und Greenwashing verunsichert und wissen nicht mehr, welchen Unternehmen sie vertrauen können. Außerdem gibt es absurd viele Informationen, Kennzeichnungen und Siegel, bei denen ein Großteil der Bevölkerung nicht mehr durchblickt und am Ende resigniert aufgibt. Erschwerend kommt hinzu, dass keine*r alleine sein Verhalten ändern will, wenn (gefühlt) alle um einen herum so weitermachen wie zuvor. Ganz abgesehen davon, dass sich längst nicht jede*r einen nachhaltigen Lebensstil leisten kann. Aber klar, wären wir alle Veganer*innen, hätte das natürlich einen enormen Effekt - mehr dazu findest du hier. Genauso, wie wenn wir alle auf Autos oder auf das Fliegen verzichten würden. Das ist nur leider unrealistisch und grüner Konsum als Lösung gegen die Klimakatastrophe deswegen in der Praxis eine Illusion.

Außerdem kommt auf individueller Ebene auch der psychologische Rebound-Effekt ins Spiel:

"Wer erfolgreich in Energiesparmaßnahmen investiert hat, fühlt sich moralisch auf der richtigen Seite und hält es für gerechtfertigt, an anderer Stelle öfter "unökologisch" zu konsumieren.", heißt es im Lexikon der Website Klimareporter

Selber Effekt taucht übrigens auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene auf.

2. Ein Großteil der CO2-Emissionen entsteht durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe

Also selbst wenn wir alle unseren privaten Konsum optimal grün anpassen, würden wir die Klimaziele dadurch allein nicht erreichen. Denn ein Großteil der weltweiten Emissionen entsteht durch die Elektrizitäts- und Wärmeerzeugung (42 Prozent), gefolgt von Transport (25 Prozent) und Industrie (19 Prozent). 

Durch individuelle Konsumkritik verlieren wir also schnell den Blick für das Entscheidende, für das strukturelle Problem. Einige Expert*innen sehen in der Individualisierung von Verantwortung eine Ablenkungstaktik. Der Klimaforscher Michael E. Mann sagt, dass sich Klimaschützer*innen dadurch eher gegenseitig aufeinander losgehen und den Blick für das Wesentliche verlieren - und diese Kämpfe sind tatsächlich vor allem auf Social Media sehr regelmäßig zu beobachten. Er spricht von einer Ablenkungsstrategie, um Klimaschutzgesetze zu verhindern und führt folgendes Beispiel an:

Der Flugverkehr hat einen Einfluss von drei Prozent an den weltweiten Emissionen, beim Rindfleischverzehr sind es sechs Prozent. Kohle-, Öl- und Gaskonzerne haben etwa 70 Prozent. Mehr dazu findest du hier. 

Es braucht stattdessen politische Entscheidungen

Wir sollten uns also nicht zu sehr in individueller Konsumkritik verlieren - es braucht stattdessen endlich globale und politische Veränderungen. Ein Konzept, von dem in diesem Zusammenhang auch immer wieder die Rede ist, heißt Ökoroutine. Der Grundgedanke dabei lautet: Verhältnisse ändern Verhalten. Das Konzept beruht auf der Strukturationstheorie von Anthony Giddens. 

"Statt beim Konsumenten, setzten wir bei der Produktion an. Das funktioniert bereits im Alltag. Elektrogeräte, Häuser und Autos wurden effizienter, weil wir die gesetzlichen Standards schrittweise erhöht haben. Weitgehend unbemerkt haben Lege-Hühner in der EU heute doppelt soviel Auslauf wie noch 2003. Statt nur mit moralischen Appellen von den Bürgern das "richtige" Verhalten einzufordern, ist es viel effektiver die Produktion zu verbessern. Statt von den Menschen einzufordern, weniger zu fliegen, ist es realistischer, die Expansion der Fliegerei insgesamt zu limitieren." - Michael Kopatz


Die Regierungen dürfen die Verantwortung also nicht allein an die Konsument*innen abladen und auf freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen setzen

Das fordern inzwischen auch einige Großkonzerne: Knapp 70 deutsche Unternehmen sprechen sich in einem Schreiben für ein "umfassendes und konkretes klimapolitisches Maßnahmenprogramm" von der neuen Bundesregierung aus. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, muss Deutschland aus der Kohleindustrie aussteigen und zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien setzen. Außerdem brauchen wir eine Agrar- und Verkehrswende von oben. Um das herbeizuführen ist es sinnvoller, sich zusammenzuschließen und politisch aktiv zu werden, als auszurechnen, wie groß der CO2-Fußabdruck der Nachbar*innen aufgrund ihres Wocheneinkaufs ist.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Es ist nicht so, dass unser Konsum überhaupt keinen Einfluss hat, nur ist der eben nicht so groß, wie es von vielen Seiten kommuniziert wird. Es macht Sinn und es ist richtig, auf Plastikverpackungen und Fleisch zu verzichten und im Winter keine Erdbeeren aus Ägypten zu kaufen - aber Konsumkritik alleine ist nicht die Lösung im Kampf gegen den Klimaschutz. Denn Verhaltensnormen können - und sollten in diesem Fall auch - endlich durch ordnungspolitische Maßnahmen verändert werden. 


Die diesjährige UN-Klimakonferenz findet vom 31. Oktober bis zum 12. November statt. Inhaltlich sollen die Regelungen des Pariser Klima-Abkommens zu Begrenzung, Kontrolle und Management der globalen Erwärmung nachgebessert werden, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. 

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