Warum ich so ungern darüber rede, dass ich Musik mache…

Warum ich so ungern darüber rede, dass ich Musik mache…

Sebastian bloggt

Ich hasse es mit Freunden über Musik, die ich gemacht habe, zu reden. Das geht soweit, dass die mir das teilweise übel nehmen.

Ich bin Anfang 20 und wie die meisten von euch liebe ich Musik. Ich mag sie sogar so sehr, dass es mir irgendwann (etwa in der Lebensphase in der man anfängt zu glauben, dass man kein Kind mehr ist, rückblickend betrachtet aber ganz eindeutig noch eins war) nicht mehr reichte sie nur zu hören – ich wollte sie auch machen. Was folgte, war die von Hunderttausenden jungen Menschen durchlebte verschwendete (?) Jugend in verschiedenen, katastrophalen musikalischen Output generierenden Schülerbands.

Was mich von vielen meiner damaligen Mitstreitern unterscheidet, ist die Tatsache, dass ich den Absprung nicht geschafft habe: Ich mache immer noch Musik – „Voll schön, dass du deine Träume verfolgst und so.“ - und ich erzähle meinen Freunden und Bekannten wahnsinnig ungern davon. Traurigerweise nehmen die mir das zum Teil echt übel, beziehungsweise sind (was ich noch schlimmer und irgendwie auch ein bisschen weird finde) enttäuscht, wenn sie zum Beispiel aus Facebook erfahren, dass ich irgendwo auftrete. Ich glaube sie glauben dann manchmal, dass ich sie nicht für qualifiziert halte oder sie mir als Freunde nicht nahe genug stehen oder sowas. Weil das natürlich vollkommener Schmarrn ist, möchte ich hier in sieben Punkten erklären, wieso ich wirklich so ungern darüber rede.

1. Ich weiß, dass ich mein größter Fan bin.

Ich glaube, es ist völlig normal (und wohl auch wichtig, weil dich das ja motiviert), dass du als Musiker deine Sachen selbst total abfeierst. Dafür gibt es meines Erachtens drei Gründe: Erstens hast du deine Songs so oft gehört wie niemand anderes: Du kennst jedes Highlight, jeden versteckten Clou und du kannst mitsingen. Du gibst deiner eigenen Musik im Gegensatz zu vielen anderen Songs (natürlich) die Chance auf ihre Art und Weise zu wirken und lässt dich auf sie ein. Ich bin mir grundsätzlich sehr sicher, dass wir viel mehr Musik cool finden könnten, wenn wir ihr diese Möglichkeiten geben würden.
Zweitens willst du deine Musik geil finden. Auch in diesem Punkt bin ich überzeugt, dass es viel mit einem mehr oder weniger guten Willen zu tun hat, mit dem man einen Song hört, ob man ihn mag oder nicht. Und drittens hast du als Musiker deinen Song natürlich so gemacht wie du ihn magst. Ein Schaffensprozess ist immer einer, der aus vielen Entscheidungen gegen oder für etwas besteht und diese triffst du, egal ob bewusst oder unbewusst, so wie Musiker, die du feierst. Das Produkt fällt automatisch auf irgendeine Weise ähnlich und nach deinem Geschmack aus.

Hast du dir das bewusst gemacht, checkst du, dass du eigentlich überhaupt nicht mehr sagen kannst, ob deine Musik objektiv cool ist, weil du sie als ihr Schöpfer natürlich für geil hältst.

2. Ich finde manchmal peinlich was ich mache.

Ich weiß, das klingt nicht besonders logisch, aber der zweite Grund hat viel mit dem ersten zu tun. Wenn du als Musiker dann nämlich was veröffentlicht hast, wird dir klar, dass die Leute dein Können und dich selbst danach beurteilen werden. Gleichzeitig weißt du wie gesagt, dass du überhaupt nicht beurteilen kannst, ob fett ist, was du machst und, dass es durchaus auch Musik gibt, die du peinlich findest. Vielleicht finden andere peinlich, was du gemacht hast? Du suchst also deine Songs nach pathetischen Textstellen, kitschigen Momenten und anderen Peinlichkeiten ab und – egal wie unfassbar gut du bist – du wirst fündig werden und im Wechsel mit den oben beschriebenen Phasen, in denen du deine Songs für den absoluten Shit hältst, alles was du gemacht hast unglaublich bescheuert finden. Hält man mich jetzt, wahrscheinlich mit einigem Recht, für paranoid, möchte ich zu meiner Verteidigung zumindest sagen, dass ich von befreundeten Musikern weiß, dass es ihnen ähnlich geht. Manchmal vertraue ich meiner Musik also einfach nicht genug, um anderen davon zu erzählen.



3. Ich will nicht der armselige Typ sein, der als einziger an den kurz bevorstehenden Durchbruch seiner Band glaubt.

Der Vollidiot, der immer noch unbeirrbar an den großen Erfolg seiner einfach schlechten bis durchschnittlichen Punkband, die eine Reggae-Bridge für den gelungensten und originellsten Gag des Jahrtausends hält, glaubt, ist inzwischen ein Klassiker. Irgendwie ist so viel Arglosigkeit (von Naivität zu sprechen wäre gemein) herzzerreißend, kann man seinen Enthusiasmus als Musiker doch bestens nachvollziehen. Das Problem ist nur, ich möchte nicht sein wie er, ich möchte nicht belächelt werden für eine Sache, die ich so gerne mache. Wenn dieser Typ seine Freunde dann aber auch noch zweimal im Monat zu den Gigs seiner Band in diverse von der Stadt geförderte Jugendzentren schleppt, läuft er echte Gefahr zu nerven – schlimmer als die Leute in deinem Freundeskreis, die dir andauernd ihr Smartphone mit Bildern von ihren Haustieren oder wieder aufgepäppelten Topfpflanzen unter die Nase drücken: ein beschissener Feierabend ist nämlich nicht nur langweilig, sondern eher sowas wie eine unbezahlte Nachtschicht.


4. Der Freundschaftsdienst.

Wahrscheinlich haben die meisten Leute, die (im weitesten Sinn) Popmusik machen in ihren Teeniejahren damit in irgendwelchen Bands angefangen. So auch ich und eine Sache, die mich in dieser Zeit entscheidend geprägt hat, war mein Freundeskreis: eine, gerade was musikalische Vorlieben angeht, bunt gemischte Gruppe. Trotzdem waren die meisten von uns für sich selbst aber so etwas wie (und ich hasse dieses Wort) Musiknazis. Ich vermute, dass es in diesem Alter normal ist sich selbst und allen anderen zeigen zu wollen, dass man anders und ganz speziell ist. Man hört Punk, Indie, Reggae oder Elektro, auf jeden Fall aber nur eins davon. Das schlimme und gleichzeitig schöne daran: Obwohl ich oder wir wussten, dass unsere Freunde die Art von Musik, die wir damals machten, hassten, kamen sie, wenn wir sie zu einem Gig eingeladen haben. So süß das ist, mir war es mega unangenehm. Ich wollte und will meine Freunde nicht dafür bestrafen, dass sie meine Freunde sind.


5. Niemand hat auf mich und meine Musik gewartet.

Es wäre schön, wenn das so wäre, aber nüchtern betrachtet, muss ich wohl oder übel festhalten: Wenn ich aufhören würde Musik zu machen, würde sich für alle anderen genau… nichts ändern. Vielleicht würden mich zwei Hanswursten mit viermonatiger Verspätung danach fragen. Im Grunde, so glaube ich, wäre das aber auch bei wirklich bekannten Leuten nicht viel anders: Wahrscheinlich wären es dann mehr Hanswursten, sie würden nicht so lange warten und sie wären aufgebrachter dabei, aber irgendwann würden sie eben Musik von anderen Leuten hören. Es gibt einfach unglaublich viel Musik in allen vorstellbaren und unvorstellbaren Varianten auf dieser Welt, die dank Spotify und Youtube immer und überall für jeden verfügbar ist. Für mich heißt das vor allem eins: Ich freue mich irrsinnig über jeden Menschen, dem gefällt was ich mache, aber am Ende mache ich Musik wohl oder übel für mich selbst und wenn ich mit Freunden darüber rede, kann ich das tun, weiß aber, dass ich dabei über etwas rede, das mir wichtig ist und nicht meinem Gegenüber.


6. Es kann einfach mega unangenehm sein.

Der für mich vielleicht wichtigste Grund nicht mit anderen über eigene Musik sprechen zu wollen ist, dass die Leute oft sofort und in meinem Beisein einen Song hören wollen. Taugt ihnen was sie hören, ist das kein riesiges Problem und nur ein bisschen peinlich (ungefähr so wie früher, wenn die Deutschlehrerin deinen Aufsatz vor der ganzen Klasse vorgelesen hat). Taugt ihnen das Gehörte aber nicht (irgendwann wird das passieren, selbst wenn du wie gesagt, und davon gehe ich aus, über alle Maßen gut bist) gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder die- oder derjenige kann dich so glaubhaft anlügen, dass du überhaupt nicht merkst, dass er sich innerlich fragt, ob das eigentlich gerade dein Ernst ist. Oder es wird wirklich, wirklich peinlich… Du lässt deinem Gesprächspartner keine Wahl. Niemand sagt seinem Gegenüber gerne in’s Gesicht: „Boah alter, was hast du denn da gemacht? Das ist ja so schlecht, dass es schon fast wieder witzig ist!“, auch wenn er das vielleicht denkt. Dann stehen sich also zwei peinlich berührte Menschen gegenüber, die sich einfach nur wünschen woanders zu sein: „oh ok… cool… das ist mit Instrumenten, nice“. Der Punkt ist: Du bringst nicht nur dich selbst in eine unangenehme Situation, sondern auch andere (und unter Umständen merkt man das eben nicht mal).




7. Die Sache mit der ehrlichen Meinung.

Wer schonmal versucht hat sich aus gerade geschilderten Situationen herauszuwinden weiß, wie schwer das ist. Ganz oft hört man dann: „Ja, das versteh‘ ich, aber bei mir ist das echt anders, ich sag‘ immer voll ehrlich was ich denke. Letztens hab‘ ich meinem Freund gesagt, dass seine Hose voll hässlich ist.“ Das Problem dabei ist folgendes: Wenn mir die Person nicht besonders nahesteht, glaube ich ihr das nicht. Wenn du kein Soziopath bist, sagst du keinem Bekannten oder Freund, den du selten siehst, in sein Gesicht: „Du bist schlecht.“ Wenn mir die Person aber wirklich nahesteht und ich ihr glaube, dass sie ehrlich ist (auch dann tu ich’s meistens nicht), will ich vielleicht gar keine ehrliche Meinung hören. Es ist nicht ganz einfach sich das einzugestehen, aber ich glaube sich von seiner Freundin/seinem Freund/seinen besten Freunden/seinem Bruder/seiner Schwester anzuhören, dass das worin du dein Herzblut steckst irgendwie gar nicht mal so geil ist, wäre schon ziemlich schwer zu verkraften. Es gibt einen Grund wieso in solchen Situationen zur Not gelogen wird. Ich erwarte von diesen Menschen einfach, dass sie verstehen und cool finden, was ich mache.
Selbstverständlich ist ehrliche und konstruktive Kritik wahnsinnig wichtig: Aber ich glaube das können Menschen mit denen man zusammenarbeitet (Label, Produzent, Booker, Veranstalter, Presse, Bandkollegen usw.) einfach besser als Freunde. Erstens kann ich dann selbst nichts Privates in die jeweilige Meinung hineininterpretieren (egal ob es nun da ist oder nicht) und zweitens glaube ich denen, dass sie ehrlich sind (wenn sie mit dir arbeiten, haben sie in der Regel schließlich ein Interesse daran dein Produkt besser zu machen).


Aber: Ohne Freunde und Bekannte geht's nicht.

Wenn du anfängst Musik zu machen, interessiert das erstmal niemanden, außer eben (vielleicht) diese lieben Menschen. Im Prinzip versuche ich die Punkte, die ich aufgezählt habe, selbst auszublenden, weil ich weiß, dass ich das tun muss, wenn ich will, dass meine Musik gehört wird. Hinter vielen der aufgezählten Dinge steckt wahrscheinlich einfach Angst zu nerven, dabei gibt’s vermutlich Leute in meinem Freundeskreis, die sich tatsächlich für mein Gedudel interessieren. Wie meistens ist wohl auch hier ein Mittelweg der richtige. Die Punkte im Hinterkopf zu behalten schadet aber bestimmt nicht: Niemand braucht Vollpfeifen, die sich und ihre musikalischen Ergüsse für das Geilste halten, jedenfalls nicht wenn sie nicht Gallagher mit Nachnamen heißen. Ausnahmen bestätigen eben die Regel.

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