Hat sich die Situation für Pflegekräfte verbessert?

Hat sich die Situation für Pflegekräfte verbessert?

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Paula Klaan

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Seit Jahresbeginn gilt der neue Tarifvertrag an den Unikliniken in NRW. Gesundheits- und Krankenpflegerin Paula erzählt, was sich dadurch bisher verändert hat.


Führt der Tarifvertrag "Entlastung NRW" schon zu spürbaren Verbesserungen?

Letztes Jahr im Juli hat egoFM Gloria mit Jan von Haagen gesprochen, er ist ver.di-Gewerkschaftssekretär des Landesbereich C Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen. Im Interview damals hat er über den Streik und die Arbeitsbedingungen in der Pflege gesprochen und erklärt, wie diese endlich verbessert werden können. Am 19. Juli 2022 kam dann die Einigung der Tarifparteien und am 1. Januar 2023 trat der Tarifvertrag "Entlastung NRW" in Kraft. Was genau die Kernpunkte des Vertrags sind, erklären wir hier im egoFM Reflexikon.

Paula Klaan ist Gesundheits- und Krankenpflegerin am Uniklinikum Münster und hat im Interview mit egoFM Gloria darüber gesprochen, ob von den Beschlüssen schon etwas bei den Pflegekräften angekommen ist und ob sich durch die neuen Regelungen bereits konkret etwas verbessert hat.
  • Paula über die aktuelle Situation in der Pflege
    Das komplette Interview aus egoFM Reflex


Gibt es aktuell eine Entspannung auf den Kranken- und Pflegestationen?

Das zumindest liest und hört man in letzter Zeit öfter. Und in Bezug auf Atemwegserkrankungen, vor allem Influenza, RSV und Covid, kann man tatsächlich teilweise - mit regionalen Unterschieden - von Entspannung sprechen - von einer Entspannung allgemein in den Kliniken, könne ihrer Meinung nach aber nicht wirklich die Rede sein, sagt Paula Klaan. Denn während der Pandemie konnten Patient*innen weniger behandelt werden, weil das Personal akut eingebunden war. Dadurch haben sich einige Behandlungen verschoben, die jetzt zwar nachgeholt werden, was aber wiederum dazu führt, dass jetzt mehr kranke Menschen in den Kliniken sind, die einen höheren Versorgungsgrad mit sich bringen.

"Und das nach diesen zweieinhalb, drei Jahren, wo wir Beschäftigten in den Kliniken auch einfach geschlaucht sind, weil es für uns eben zwischendurch keine Erholungs- oder Verschnaufpause gab. Das ist schon eine schwierige Situation und die angespannte Personalsituation ist da auch weiterhin täglich durchaus spürbar." - Paula Klaan

Der erstrittene Entlastungstarifvertrag soll das in NRW aber jetzt verbessern

Ein zentraler Punkt des Tarifvertrags ist eine schichtgenaue Erfassung mit Punktesystem: Für jedes Unterschreiten der Personalquote gibt es "Belastungspunkte" und bei jeweils sieben Punkten einen zusätzlichen freien Tag als Belastungsausgleich. Damit das automatisch funktionieren kann, muss allerdings erst noch ein IT-System eingeführt werden - dafür haben die Arbeitgeber*innen ab Beginn 2023 18 Monate Zeit. Bis dahin gibt es aber pauschale freie Tage, je nach Bereich variieren die in der Anzahl. Paula stehen dieses Jahr fünf Tage zu, vier kann sie frei einplanen und einen muss sie sich auszahlen lassen. 

"Bei mir in Münster ist das so, dass wir diese pauschalen Tage schon verplanen konnten, das wurde relativ clever und unkompliziert über die Urlaubsplanung schon möglich gemacht, das wird so also schon eins zu eins umgesetzt." - Paula Klaan

Auch die vereinbarten Quoten, die ebenfalls seit 1. Januar gelten, werden bei Paula versucht, weitestgehend zu berücksichtigen. Das sorgt tatsächlich auch schon spürbar für Verbesserungen:

"Da kann ich von mir persönlich berichten, dass ich diese Woche tatsächlich mal einen Dienst hatte, bei dem ich so richtig zufrieden nach Hause gegangen bin. Einfach weil ich mal das Gefühl hatte, die Patienten individuell gut versorgen zu können und nicht nur das Gefühl hatte, nur das Nötigste irgendwie abgearbeitet zu haben und niemandem wirklich gerecht werden zu können. Wir spüren da schon Veränderungen." - Paula Klaan


Die Gefahr, dass sich eine Unterplanung der Schichten für die Kliniken bei dem Punktesystem wirtschaftlich eher lohnen würde, als ausreichend Leute einzuplanen, sieht Paula eher weniger.

Diese Einschätzung ist für sie eher ein Zeichen dafür, dass der Einblick fehlt, wie schwierig die Personalplanung und wie gefährdet die Patient*innenversorgung bereits ist. Sie und andere Teams haben durchgerechnet, was allein nur die pauschalen Tage finanziell bedeuten und haben das auf das Klinikum hochgerechnet - das hat extreme Auswirkungen sagt sie. Und wenn das schichtgenaue System eingeführt ist und sie alle freien Tage aufgrund von Unterbesetzung ausgezahlt bekommen würde, wäre das grob eine Reduzierung von 40 auf 30 Stundenwochenarbeitszeit - bei gleichbleibender Bezahlung. 

"Dazu kommt aber ja auch noch, dass bei Unterbesetzung nachweislich die Qualität der Patient*innenversorgung leidet. Und schon allein das kann ja eigentlich von Arbeitgeberseite aus nicht gewollt sein, weil wir ja nun mal auch da sind, um die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherzustellen." - Paula Klaan

Der Pflegeberuf muss attraktiver werden

Einerseits, damit mehr junge Pflegekräfte nachkommen, andererseits, damit Menschen, die schon mal in der Pflege gearbeitet haben, wieder zurückkommen. Paula Klaan erklärt, dass Pflegekräfte deswegen dringend mehr Mitbestimmung im Gesundheitssystem brauchen. Außerdem wünscht sich Paula, dass ihre Berufsgruppe mehr in ihrer Fachkompetenz wahrgenommen und bei übergeordneten Entscheidungsprozessen miteinbezogen wird. Damit sich die Arbeitsbedingungen weiter verbessern, bräuchte es ihrer Meinung nach außerdem noch viel mehr Beschäftigte im Gesundheitswesen, die sich gewerkschaftlich engagieren.
 
"Wir haben das jetzt für Unikliniken vereinbart und wir hoffen natürlich auch auf einen Effekt auf die umliegenden Häuser, aber es gibt ja noch viel mehr Einrichtungen im Gesundheitssystem. Und wir sind einfach mal die Expert*innen unseres Berufs. Und das, was wir so von den Unikliniken in NRW gezeigt haben, ist ja, dass man mit gewerkschaftlichem Engagement da auch echt zeitnah in der Umsetzung was reißen kann. Und da bleiben wir auch weiter dran, noch viel mehr zu erkämpfen." - Paula Klaan 

Mit ihrem Streik unter dem Motto "Notruf NRW" haben es Julia und ihre Mitstreikenden letztes Jahr außerdem geschafft, dass beispielsweise auch Bereiche wie Therapie, Physiotherapie oder Logopädie, aber auch Mitarbeitende zum Beispiel in Klinik-Bäckereien oder des Transportdiensts Teil des Geltungsbereichs des Tarifvertrags sind.

"Krankenhaus ist Teamarbeit und es funktioniert nur,  wenn in allen Bereichen gute Arbeitsbedingungen herrschen und wir unseren Job da entsprechend gut machen können." - Paula Klaan

Design ❤ Agentur zwetschke