Der pietätlose Trip für die Likes

Der pietätlose Trip für die Likes

Die dunkle Seite der Influencer*innen

Im Kampf zwischen "Hach, wie viele tolle Orte haben wir schon durch Instagram entdeckt" vs. "Oh, wie viele tolle Orte wurden durch den Ansturm von Instagrammer*innen schon zerstört" wollen wir uns mal auf Letzteres konzentrieren...

Inlfluencer*innen

Sie sind die heutigen Meinungsmacher*innen in den sozialen Medien und üben durch Produktwerbungen und Zurschaustellung ihres exklusiven Lebensstils enormen Einfluss auf unser Konsumverhalten aus. Diese zwanghafte, ständige Attraktionsgeilheit an schönen Orten hat nicht nur zur Folge, dass werbeempfängliche Story-Schauer*innen sich die neue Sport-Leggings zulegen. Viel mehr leiden auch die Orte, die sie besuchen, darunter, dass bis dato unbekannte Wunder der Natur zu überlaufenen Sightseeing-Spots für Tourist*innen werden.

Foto mal eben geknipst und auf Instagram hochgeladen, damit auch jede*r weiß, was für einen tollen Urlaub man gerade hat - und ein paar Tage später ist es auch schon wieder vergessen.

Nur die Umwelt, die vergisst das meist nicht so schnell. 

Ach ja und dann gibt es noch die durch Trends angekurbelten Reiseziele. Gesellschaftliche Bewegungen können ohne Frage eine schöne Art sein, die Menschen zum Besseren aufzurufen - aber leider geht das auch andersrum. Da entstehen dann eben Hypes, die mehr als problematisch sind... 

Auch die eigene Gesundheit wird aufs Spiel gesetzt

 Manche Menschen hält nicht einmal eine giftige Umwelt davon ab, nach dem besten Selfie zu suchen. Wenn der Drang, das perfekte Bild zu posten, zu einer Besessenheit mutiert.

Welche Auswirkungen dieses Zurschaustellung einmaliger Attraktionen hat und auf was Ideen manche Influencer*innen kommen, haben wir dir hier mal zusammengefasst:




Der wunderschöne, giftige See

Ein See, so türkisfarben, dass man meinen könnte, er wäre direkt aus einem Werbekatalog für die Malediven rausgephotoshopt worden. Tatsächlich ist dieser See in der Nähe von Nowosibirsk, im tiefsten Sibirien, zu finden. Die Influencer*innen lieben ihn. 

Vor allem 2019 strömten zahlreiche Menschen zu dem Gewässer, um in der Nähe des Ufers oder auf dem Wasser für das perfekte Instagram-Bild zu posieren. Auf Instagram findet man zahlreiche Fotos - inklusive Hochzeitsbilder und Stand-Up-Paddeling-Pärchen. Die meisten Posenden befinden sich vor dem See, mit ihm als Hintergrund, einige aber sind auch im Wasser zu sehen. Davon wird aber dringlichst abgeraten.

Der Instagram-See enthält giftige Chemikalien

Die vermeintlich schöne türkise Farbe hat nämlich einen weniger romantischen Grund, denn der See dient als Entsorgungstümpel für Asche aus einem nahegelegenen Kohlekraftwerk und wurde nur dafür ausgebaggert.

Das Wasser enthält eine hohe alkalische Konzentration, da sich Kalziumsalze und andere metallische Oxide darin befinden.
Diese giftigen Chemikalien können starke allergische Hautreaktionen auslösen  – und nebenbei eben dem See seine spektakuläre Farbe geben.

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Нашумевшее озеро в городе N...💦 . . Бирюзовая вода золоотвала ТЭЦ-5 действительно оказалась поразительной на вид 🤣#безфильтров Аквамариновый цвет озеру придают соли кальция, металлы, содержащиеся в воде и ее высокий pH ☠️ . . Хотелось бы конечно оказаться сейчас не на золоотвале в +14, где я боялась, что капля воды попадёт на кожу 😂, а на Ибице в +30 💃🏻🤪, но я верю, что вы удачливее меня 😂 поэтому гоу на Ибицу 🙌🏻 ну или на худой конец в санаторий под Бердском . . А вы где этим летом отдыхаете?💫 . 🤣🤣🤣#жабрыневыросли#ночьюнесвечусь👻

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Die Vermüllung des Verzascatals

Das Verzascatal war eine Ansammlung kleiner, idyllischer Gemeinden mit Top-Lage an einem wunderschönen, kristallklaren Fluss.

Betonung auf "war" - denn das änderte sich ab dem 10. Juli 2017 brisant.

An diesem Tag lädt der italiensche Influencer und Videomacher Capedit ein Video auf seiner Facebook-Seite hoch, in dem er die Idylle des Verzascatals präsentiert. "Nur eine Stunde von Mailand" heißt es immer wieder in dem Beitrag. Nach diesem Video ändert sich für die Bewohner*innen des kleinen Ortes alles, denn in den folgenden Wochen kommen immer mehr Tourist*innen und wollen im türkisblauen Wasser baden.

Handtuch an Handtuch quetschen sie sich seitdem auf die Steine am Ufer - und das gesamte Verzascatal kommt kaum mit dem Ansturm an Besucher*innen klar: es gibt weder eine entsprechende Infrastruktur, die einen geregelten Verkehr gewährleistet, geschweige denn genügend Parkmöglichkeiten. 

Übrigens: Wirtschaftlich bringen die Tourist*innen-Ströme dem Verzascatal gar nichts. Denn bei ihnen handelt es sich zum Großteil um Tagesbesucher*innen, die ihr eigenes Picknick mitbringen und nicht in lokale Wirtschaften einkehren. Womit wir mit dem Stichpunkt "eigenes Picknick" beim nächsten großen Problem der Masse sind: der Müll bleibt nämlich größtenteils nach Abfahrt dort zurück...



Das zertrampelte Mohnfeld

Auch der kalifornische Ort Lake Elsinore hat unter den Instagram-Tourist*innen zu leiden. Zur Zeit der Mohnblüte erstrecken sich die orange-gelben Felder in der grünen Landschaft kilometerweit. Klar, dass so ein malerischer Spot auch Hobby-Fotograf*innen anzieht, die ein Bild von sich zwischen den tausend Blüten haben wollen.

Dass es bei solchen Trends nicht nur bei ein paar hundert Besucher*innen bleibt, solltest du ja mittlerweile gelernt haben. 2019 strömten Scharen in den Walker Canyon von Lake Elsinore und hinterließen ein zertrampeltes Mohnfeld: das Opfer von 50.000 Schnappschüssen alleine an diesem Wochenende.

Die Stadt musste jetzt reagieren und hat den Zugang zum Canyon geschlossen, um den Schaden an den platt getrampelten Mohn-Blumen noch zu begrenzen. Auch in Frankreich ist das ein riesiges Problem.




Tödliches Gedränge auf der Trollzunge

Die Trolltunga (Trollzunge) ist ein sehr beliebter Foto-Spot für reichlich Tourist*innen im Westen von Norwegen. Dabei handelt es sich um einen nach vorne immer dünner werdenden Felsvorsprung, der in luftiger Höhe über eine atemberaubenden Landschaft ragt. Klar, dass sich so ein perfektes Set für ein Fotoshooting schnell herum spricht:

Täglich wandern hunderte Tourist*innen den als anspruchsvoll ausgeschilderten Pfad zur Zunge hinauf, um sich in eine ewig lange Schlange fürs Fotomachen einzureihen. Dass das mehr oder weniger unkoordiniert und chaotisch abläuft kannst du dir ja vorstellen.

2015 stürzte eine 24-jährige Frau aufgrund des Gedränges auf der Zunge mehrere hundert Meter in die Tiefe - und verstarb. Trotz dieses tragischen Unfalls hat sich damals an der unübersichtlichen Situation an der Trollzunge nichts getan. Die einzig ernst zunehmende Reaktion auf den Vorfall war die Aktion #BeSafie einer Tourismusagentur. Unter dem Hashtag soll auf sicherere Selfies aufmerksam gemacht werden. Ob die Lage dort heute inzwischen anders ist, wissen wir nicht.


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Der zerstörte Traumstrand

Nicht nur HBO-Serien können einen Touri- und Fotowahn auslösen, bei Filmen hat das in Vergangenheit auch schon geklappt. 2000 zeigte beispielsweise der Film The Beach Leonardo DiCaprio an seinem Traumstrand mitten im paradiesischen Nirgendwo. Scheinbar weckte dieser Film in vielen das Fernweh und die Sehnsucht nach ihrem eigenen Idyll. Und so recherchierten Leo-Fans nach dem Drehort und stießen schließlich auf "Maya Bay" in Thailand.

Seit 2000 pilgerten daher durchschnittlich 3.500 Besucher*innen pro Tag mit dem Motorboot an den entlegenen Strand der Insel Ko Phi Phi Leh und brachten Müll, Lärm und Öl mit sich.

Diese Faktoren und die nicht endende Flut an Tourist*innen zwangen die thailändische Regierung im Sommer 2018 einen Schlussstrich zu ziehen. Seitdem kommen keine Tourist*innen mehr an den Strand und das wird vorerst so bleiben - damit die Unterwasserflora und- fauna sich erholen kann. Denn diese ist schwer geschädigt und seltene Tierarten finden erst langsam wieder in das seichte Gewässer zurück. Auch die Korallen hatten sehr zu leiden. Hier ist das Problem, dass sie nur sehr langsam, über Jahre hinweg, wachsen. Bis diese sich regeneriert haben, wird es noch eine ganze Weile dauern.

Die Regierung plant dennoch in Zukunft den Strand für Besucher*innen wieder zu öffnen, allerdings nur mit begrenzter und kontrollierter Kapazität. Januar 2022 öffnete die Insel wieder unter Beschränkungen. 



Vandalismus für Abonnent*innen

Casey Nocket, auf Instagram bekannt als Creepytings, wurde 2016 Hausverbot für alle amerikanischen Nationalparks ausgesprochen, nachdem sie dort mehrfach ihr Unwesen trieb.

Sie malte mit Acrylfarbe diverse Gesichter auf Jahrtausend alte Steine in Nationalparks und postete ihre Schmierereien im Anschluss auf ihrer Seite.

Blöd, dass sie damit auch sofort den Hinweis lieferte, von wem die Verunreinigungen stammen und so wurde sie für die folgenden zwei Jahre aus allen Nationalparks verbannt. Zusätzlich musste sie noch 200 Stunden mit gemeinnütziger Arbeit verbringen, die unter anderem aus der Säuberung von Naturschutzgebieten bestanden.


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Die gesperrte Gasse

Paris: Die Hochburg für den und die Insta-Blogger*in von heute. La Tour Eiffel bei Nacht, wie er die Stadt erleuchtet (Bildmaterial davon ist übrigens urheberrechtlich geschützt) oder schöne Gassen im Herzen der Stadt der Liebe. Eine dieser Gassen ist die Rue Crémieux und ihre Anwohner*innen klagen über einen unaufhaltbaren Ansturm an Fototourist*innen. Mehrfach täglich wird sich auf den Türschwellen niedergelassen um eine coole Pose zu finden und sich dann ablichten zu lassen.

Auch HipHop-Musikvideos wurden schon unangemeldet in der (unfreiwillig) bekannten Straße gedreht.

Das geht den Menschen die dort wohnen mächtig auf den Zeiger und deswegen haben sie sich 2019 an die Stadt Paris gewandt und um ein Tor gebeten. Das Tor soll zur Primetime für Fotograf*innen verschlossen werden, Kontrolle in das Gassengeschehen bringen und Blogger*innen fernhalten. Ob es das Tor inzwischen gibt, wissen wir nicht.




Fotowahn im KZ

Die Gedenkstätte des Konzentrationslagers in Auschwitz erinnert an die Millionen Ermordeten während des NS-Regimes. Eigentlich sollte es also auf der Hand liegen, dass man hier kein spaßiges Foto für Instagram macht und dem Ort den nötigen Respekt entgegen bringt.

Doch das scheinen nicht alle zu begreifen und deswegen lassen sich auf Instagram & Co. diverse Fotos finden, auf denen die User*innen zum Beispiel bei Sonnenuntergang auf den Gleisen des KZ balancieren.

Dass auf diesen Gleisen die Opfer der Nazis in die Konzentrationslager deportiert wurden, scheint keine*n von denen so wirklich zu interessieren. Die Gedenkstätte Auschwitz bittet auf Twitter daher ihre Besucher*innen darum, künftig auf solche "Schnappschüsse" zu verzichten und um einen respektvollen Umgang mit diesem Ort des Verbrechens.


Das Besuchen von Orten wie KZ-Gedenkstätten fällt übrigens unter den Begriff Dark Tourism und ein Artikel darüber findest du hier


Natural Pool

2020 hat die Influencerin Yvonne Pferrer (mit über 1,5 Millionen Follower*innen) auf Instagram ein Foto geteilt, auf dem sie in einem "Natural Pool" im Berchtesgardener Nationalpark badete.

Das Problem dabei: Der Weg zu diesem Ort ist nicht öffentlich und jede*r, der*die zu diesem Hotspot geht, muss Drahtseile übersteigen, sich an an Felswänden entlang hangeln und halten sich dabei zwangsläufig nicht an den geltenden Naturschutz. Von den Müllbergen, die auf dem Weg hinterlassen werden, fangen wir erst gar nicht an. 

Aber auch dort angekommen, gibt es weitere Probleme:

Denn in dem Instagram-worthy Pool sind leider schon Menschen verunglückt, da dieser direkt in einem Wasserfall mündet. Aus diesen Gründen will der Nationalpark natürlich zurecht nicht, dass der Ort auf Instagram (im Falle von Yvonne Pferrer sogar mit genauer Wegsbeschreibung) angepriesen wird.


Auf die Bitte des Nationalparks, das Foto zu löschen, postet die Instagrammerin einfach ein Zweites. Inzwischen gibt es lediglich einen Zusatz auf den Bildern, dass der Ort sehr gefährlich ist und die Wegbeschreibung wurde gelöscht - die Bilder an sich sind aber weiterhin online.

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