Ukraine-Konflikt droht zu eskalieren

Ukraine-Konflikt droht zu eskalieren

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Tim Bohse

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Die Annexion der Krim durch Russland war 2014 der Auslöser für einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Im Moment flammt dieser anhaltende Konflikt erneut auf.

Tim Bohse ist Projektkoordinator im Ukraine-Programm des Deutsch-Russischen Austauschs, einer Organisation, die die Völkerverständigung und den Austausch zwischen Deutschland und Russland - aber auch anderen post-sowjetischen Ländern wie beispielsweise der Ukraine - voranbringen will. Im Interview mit Gloria hat der Experte die aktuelle Situation an den ukrainischen Grenzen eingeordnet. 

Politische Veränderungen auf internationaler Ebene 

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der 2014 durch die Annexion der Krim ausgelöst wurde, führt in der Ostukraine immer wieder zu Kämpfen zwischen prorussischen Einheiten und der ukrainischen Armee. Einen kurzen Abriss darüber, was damals genau passiert ist, findest du hier in unserem egoFM ReflexikonJetzt droht die Situation erneut zu eskalieren.
  • Tim Bohse im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören

Dass sich die Lage aktuell wieder zuspitzt, liegt vor allem an internationalen politischen Veränderungen, die Seitens Moskau sehr sensibel wahrgenommen werden, wie Bohse es ausdrückt: Es gibt einen neuen US-Präsidenten, der kritischer gegenüber Russland gestellt ist und außerdem auch eine neue Bundesregierung mit Beteiligung der FDP und der Grünen, die ebenfalls eine etwas skeptischere Haltung Russland gegenüber vertreten. Außerdem scheiterte Russland damit, den Einfluss innerhalb der Ukraine auszuweiten, was durch den Waffenstillstand im ostukrainischen Konfliktgebiet und den folgenden Verhandlungen erreicht werden sollte. Das liegt auch an der proeuropäischen und prowestlichen Haltung des aktuellen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der standhaft bleibt.

Aufgrund dieser Umstände sieht sich die russische Führung unter Handlungsdruck und hat in den letzten Wochen mehr als 100.000 russische Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenzen positioniert. Eine militärische Invasion kann - zumindest in Negativszenarien - als wahrscheinlich betrachtet werden. Die Ukraine hat also realistische Angst davor, von Russland überfallen zu werden, Russland sagt allerdings, dafür gäbe es keine Pläne. Der Konflikt betrifft aber nicht nur die Ukraine, sondern auch die westlichen Mächte, genauer gesagt die Nato und die EU: 

"Die Ukraine ist im Kleinen ein Präzedenzfall, in dem sich entscheidet, wie eigentlich mit Konflikten, mit unterschiedlichen politischen Ansichten, umgegangen wird." - Tim Bohse 


Russland versucht also erneut Druck aufzubauen und Stärke gegenüber dem Westen zu demonstrieren, indem Truppen an der Grenze zur Ukraine positioniert werden.

Im Gegenzug beliefert die USA die Ukraine mit Waffen, selbes wird auch von Deutschland gefordert. Grundsätzlich sind sich die USA und die EU auch einig, den Druck gegenüber Russland aufrechtzuerhalten, es gibt in Deutschland, berechtigterweise, aber sehr große Vorbehalte gegenüber Waffenlieferungen in Konfliktgebiete. Andererseits betrifft der Konflikt eben nicht nur die Ukraine, sondern uns alle, weil es um grundsätzliche Prinzipien unseres Zusammenlebens geht, sagt Tim Bohse. Für Russland spielt dabei vor allem die Nato-Osterweiterung eine Rolle - die russische Regierung will sichergehen, dass die Ukraine kein Nato-Mitglied wird.

"Deshalb ist es sinnvoll, zumindest in der Öffentlichkeit zu diskutieren, welche Nachteile und welche Vorteile diese Lieferungen bringen und ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, welche Risiken, aber vielleicht auch welche Möglichkeiten damit verknüpft sind." - Tim Bohse

Ein ähnliches Druckmittel wie die Waffenlieferungen, stellt auch die Gaspipeline Nord Stream 2 dar. Denn der Verkauf von Gas ist für die russische Regierung extrem wichtig, mehr Hintergrundinformationen dazu findest du hier. Die Androhung, die Pipeline im Falle eines russischen Angriffs nicht in Betrieb zu nehmen, hält Bohse deswegen für fundamental notwendig, da sie Russland abschrecken können und im Idealfall dazu führen, dass die russischen Truppen abgezogen werden und der Krieg im Osten der Ukraine beendet wird. Russland hingegen sagt, dass sie sich zurückziehen, wenn auf ihre Forderungen gegenüber der Nato eingegangen wird. Mehr Informationen zu diesen Forderungen findest du zum Beispiel hier.

Ein diplomatischer Prozess

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat bei ihrem Antrittsbesuch in Moskau angesichts der aktuellen Lage natürlich auch über den Ukraine-Konflikt gesprochen. Tim Bohse findet, dass es ihr dabei gelungen ist, die Position von Deutschland deutlich zu machen:

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Vor einiger Zeit haben wir übrigens bereits mit Felix Jaitner vom DRA über die Beziehung von Russland und Deutschland gesprochen, den Artikel findest du hier. Aktuell setzt die Bundesregierung darauf, in Dialog zu treten, um eine militärische Eskalation zu verhindern. Bohse betont, dass alle Versuche, sich auf verschiedenen Ebenen für Gespräche zu treffen, sehr sinnvoll und wichtig sind. 

"Das Treffen ist ein kleiner Bestandteil des diplomatischen Prozesses der im Augenblick sehr wichtig ist und der garantiert, dass es Hoffnung geben kann, dass es jetzt eben nicht zu einer wirklichen militärischen Eskalation kommt." - Tim Bohse


Dass es trotz diplomatischer Bemühungen zu einer militärischen Eskalation kommt ist aber durchaus im Bereich des Möglichen, sagt Bohse klar.

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