Vertrauen schaffen und Lügen entlarven

Vertrauen schaffen und Lügen entlarven

Kriminalist Leo Martin verrät seine Strategien

Von  Sabrina Luttenberger (Interview)
Woher weißt du, ob du einer Person vertrauen kannst oder ob sie dich vielleicht gerade anlügt? Wir haben einen Ex-Geheimagent gefragt...

Ein Geheimagent zu Gast bei egoFM

Leo Martin hat Kriminalwissenschaften studiert, war zehn Jahre für den deutschen Geheimdienst tätig und ist Kriminalist und Bestsellerautor. Als Experte für Menschenkenntnis und Vertrauensaufbau hält er heute Vorträge zum Thema Kommunikation und Menschenkenntnis. Er weiß, wie man Vertrauen aufbaut und wie man anderen wichtige Informationen entlocken kann. Mit egoFM Sabrina hat er im Interview über Verhörtechniken gesprochen und erklärt, wie wichtig Vertrauen dafür ist.
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    Kriminalist Leo Martin verrät seine Strategien

Vertrauensaufbau als Job

Zum Geheimdienst gekommen ist Leo über eine klassische Ausbildung bei der Polizei mit einem anschließenden Studium von kriminalen Wissenschaften. Beim deutschen Geheimdienst hat Leo Vertrauensleute im Milieu der organisierten Kriminalität - zum Beispiel Drogenhandel, Waffenschmuggel, Schleusungskriminalität und Ähnliches - angeworben und geführt. Sein Job war es dann, genau aus diesem Milieu eine Person ausfindig zu machen, die gut integriert ist, einen Blick hinter die Kulissen hat und gut vernetzt ist. Dann musste er diese Person dazu zu bringen, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten und Informationen weiterzugeben. Dabei spielt Vertrauen eine sehr große Rolle. Um das zu erlangen, braucht es laut Leo auch ein genaues Verständnis dafür, was dieses Wort - gerade im Milieu der organisierten Kriminalität - bedeutet. Denn nur wenn man weiß, was Vertrauen genau bedeutet, kann man versuchen, dieses aufzubauen. Er fasst mit folgenden Grundpfeilern kurz zusammen:

"Vertrauen entsteht, wenn die Grundbedürfnisse auf Sicherheit und Anerkennung befriedigt sind. Ja, das klingt jetzt sehr abstrakt. In anderen Worten heißt es: Vertrauen entsteht, wenn der andere das Gefühl hat, du weißt, wovon du sprichst, du bist sattelfest in deinem Thema. Und wenn er trotzdem spürt, dass du ihm wichtig bist." - Leo Martin

Auch in seinem Buch Ich krieg dich! Menschen für sich gewinnen geht Leo darauf ein, wie man Vertrauen aufbauen kann. 

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Das Verhör

Im Verhör gibt es beim Vertrauensaufbau zwei Ausgangssituationen, sagt Leo. Die ideale sei natürlich, wenn man ganz viel Wissen und gesicherte Beweise hat und es beim Verhör gar nicht mehr zwingend darum geht, neue Informationen zu beschaffen. Dann können Ermittler*innen ihre Verhörtaktik um die Beweislage herum aufbauen. Das ist jedoch eher selten der Fall.
Die zweite Technik, die häufiger zum Einsatz kommt und laut Leo die Beste ist, wenn die Beweislage eher mau ist, ist die sogenannte Festlegetechnik. Dabei fragen die Ermittler*innen sehr viel, quasi ins Unendliche hinein - ohne vorab direkt zu wissen, ob ihnen diese ganzen Infos später helfen. Sollten sie nach der Überprüfung der einzelnen Informationen zum Beispiel eines Alibis aber feststellen, dass irgendetwas nicht aufgeht und sich Widersprüche auftun, wissen sie zumindest schon mal, das die verhörte Person nicht die Wahrheit gesagt hat.

Das perfekte Timing fürs Geständnis

Sollten Ermittler*innen dann den Verdacht schöpfen, dass jemand nicht die Wahrheit gesagt hat, ist auch das Timing wichtig, um die Person mit der Lüge zu konfrontieren. Denn je öfter jemand etwas zum Beispiel dementiert hat, umso schwerer fällt es der Person später, dies dann doch zuzugeben und ihm*ihr ein Geständnis abzuringen.

"Weil er sein Gesicht verlieren würde. Das heißt, hier ist Timing wichtig: Nicht zu früh konfrontieren, lang genug warten, bis wirklich alle Informationen dicht und zusammen sind. Dann hast du nämlich den geringsten Gesichtsverlust am Ende und die größte Chance auf das Geständnis."  - Leo Martin

Wie lange jemand dichthalten kann, hängt oft damit zusammen, wie sicher er*sie sich fühlt. Wenn die Person denkt, es gibt keine oder nur sehr schwache Beweise und keine anderen Zeug*innen, dann fällt es ihr wahrscheinlich leicht, lange eine bestimmte, unwahre Geschichte aufrecht zu halten, sagt Leo. Jedoch bröckelt diese harte Fassade auch oft mit der Zeit - gerade wenn die Person zum Beispiel auch für ein paar Tage isoliert von Familie und Freund*innen in Haft ist. Spätestens dann kommen doch die ersten brauchbaren und wahren Informationen zutage. Das klingt schon ein wenig nach Tatort. Aber ganz so wie im Film ist es natürlich nicht...

James Bond & Co. spiegelt die Realität nicht unbedingt wider

In Filmen oder Serien wird oft auf die einzelnen Charaktere gesetzt, die sich allein mit Verdächtigen rumschlagen. Im echten Leben ist das Ganze eher eine Gruppenarbeit:

"Bei den Sicherheitsbehörden, da arbeiten Experten in Teams zusammen [...]. Jeder macht das, was er am besten kann und das ist alles sehr gut organisiert. [...] Was aber immer sehr realistisch dargestellt ist im Fernsehen und im Kino, sind die menschlichen Schicksale." - Leo Martin

Denn egal wie krass oder erschreckend etwas im Kino oder im Fernsehen ist - die Realität, so Leo, ist in den meisten Fällen noch einmal ein ganzes Stück härter und extremer. 



Kann ich dir vertrauen?

Da es in Leos Job als Geheimagent eben häufig darum ging, das Vertrauen von Menschen zu gewinnen, interessiert uns jetzt natürlich auch, wie man den Spieß denn umdreht. Wie erkennt man, ob man einer Person wirklich vertrauen kann? Laut ihm braucht es dafür immer auch ein bisschen Risiko, denn:

"Vertrauen entsteht erst, wenn es sich bewähren muss. Punkt. Vorher weiß ich es nicht. Das heißt, ich muss irgendwo ins Risiko gehen, ich muss das antesten. Und natürlich ist blindes Vertrauen dämlich, da sind negative Erlebnisse und Konflikte vorprogrammiert, sondern da fang ich an, im Kleinen mal zu testen." - Leo Martin

Laut Leo sollte man also erstmal schauen, ob man einer Person vertrauen kann und das irgendwie überprüfen. Meist läuft es in der Realität aber andersherum und Menschen vertrauen erst und merken dann, dass etwas nicht stimmt und fangen an zu testen und zu prüfen. Wenn das zu einem Vertrauensbruch führt, leidet darunter oft die Beziehung der betroffenen Personen.

Wiederkehrende Muster gibt es aber leider nicht, um im Vorfeld schon festzustellen, ob jemand lügt. Das sogenannte NLP-Blickfeld-Muster (die Blickrichtung von Personen beim Sprechen), dass mehr über das Gesagte von Personen verraten soll, ist für Kriminalist*innen wie Leo zum Beispiel nicht wirklich hilfreich.

"Ich muss hier auf solidere Methoden zurückgreifen. Wir haben schon auf die Technik geschaut, ins Unendliche fragen, wir haben auf die Methode geschaut, meine Vernehmungsstrategie, um Beweismittel außenherum aufzubauen. Dann weiß ich ganz einfach, was stimmt und was nicht stimmt. Und wenn du mich im Kleinen anlügst, dann hab ich auch im Großen einen bösen Verdacht." - Leo Martin

Lügen ist anstrengend

Selbst die besten Kriminalist*innen können nicht unbedingt immer eine Lüge erkennen. Allerdings können viele von ihnen den Druck erkennen, den das Lügen oft erzeugt.

"Das heißt, wir suchen nach Stressanzeichen. Und da ist es immer schön, wenn man ein Abweichen vom normalen Verhalten des Gegenübers erkennt." - Leo Martin

Das kann sich zum Beispiel darin äußern, dass die Person dem Blick ausweicht oder im Gegenteil ganz ungewohnt einen starren Blick hat. Außerdem sagt Leo, denken Menschen, die lügen, bevor sie antworten einmal kurz an die Wahrheit. In diesem Moment können Kriminalist*innen anhand von abweichendem Verhalten manchmal bereits sehen, ob jemand vielleicht lügt. Das heißt, die Kriminalist*innen steigen zunächst zum Beispiel mit einem ganz normalen Gespräch und Smalltalk ein und wenn sie dann im Gespräch merken, dass sich beim Gegenüber Druck äußert, bohren sie inhaltlich natürlich weiter nach. Das braucht natürlich auch extrem viel Konzentration, weshalb bei Befragungen meist mindestens drei Personen anwesend sind: Eine Person, die nur Fragen stellt, eine, die das Verhalten genau beobachten und eine dritte, die alles dokumentiert. Zusätzlich wird heute häufig auch der Ton des Gespräches aufgenommen oder es wird gefilmt und im Nachhinein können sich die Kriminalist*innen das komplette Gespräch noch einmal in Ruhe anhören oder anschauen und auf versteckte Kleinigkeiten achten.

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