Zukunft des Pop: Du hast es in der Hand

Zukunft des Pop: Du hast es in der Hand

Hans Nieswandt über den Wandel der Popmusik

Technische Entwicklungen haben einen enormen Einfluss auf Musik - gerade auf die Popmusik. Wie sich der Pop dadurch über die Zeit gewandelt hat und in Zukunft noch wandeln wird erzählt uns Hans Nieswandt im Interview.

Popmusik aus allen Blickwinkeln

Hans Nieswandt ist nicht nur DJ, sondern auch Musikproduzent, Autor und Dozent. Er arbeitete schon als Redakteur für das SPEX Magazin und hat bereits drei Bücher über DJ-Kultur veröffentlicht. Sechs Jahre lang war er an der Folkwang Universität der Künste in Essen tätig und baute dort das Institut für Popmusik mit auf. Seid zwei Jahren wohnt er nun in Seoul und erlebt dort noch einmal eine ganz andere Seite der Popmusik.

Mit ihm hat egoFM Sandra darüber gesprochen, wie sich die Popmusik in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, was er persönlich vom Börsengang von K-Pop-Bands hält und ob Musikjournalismus in der Zukunft vielleicht nur noch als Bezahlsystem existieren könnte.


  • Hans Nieswandt über den Wandel der Popkultur

Popmusik - ständig im Wandel?

Neue Releases, Sounds und Genre - wenn man sich die Musikwelt heute und vor ein paar Jahren anschaut, hat man manchmal das Gefühl, dass sich musikalisch so viel tut und ändert, das man kaum hinterherkommt. Wenn man die Popmusik der letzten drei Jahrzehnte im Vergleich hört, hat sich schon so einiges getan. Aber gab es wirklich gravierende und revolutionierende Neuerungen? Eigentlich nicht so wirklich. Zumindest ändert sich die Popmusik nur sehr langsam und im Vergleich viel weniger, als in den Jahrzehnten vor 1990, meint zumindest Hans. Deswegen, sagt er, bezeichnet man diese Phase, diese drei Jahrzehnte vor den 90ern, auch gerne als heroische Phase des Pops.
"Als Revolutionen wöchentlich stattgefunden haben, sehr oft Hand in Hand gehend mit technologischen Fortschritten. Das Ganze hat ein bisschen mit der Digitalisierung an Momentum verloren. Das heißt, es passiert natürlich wahnsinnig viel. Es ist wahnsinnig viel einfacher geworden. Die Technologie, um Musik zu machen, ist für viel viel mehr Menschen viel leichter zugänglich. Man könnte das auch als Demokratisierung bezeichnen. Das ist einerseits zwar sehr erfreulich, aber man sieht ja auch jetzt so ein bisschen... So, jetzt haben wir den Salat. Jetzt veröffentlicht jeder Sachen." -  Hans Nieswandt 

Echte revolutionäre Veränderungen im Pop

Die letzte große und wirklich revolutionäre Neuerung in der Popmusik war für ihn Ende der 80er-Jahre durch das Aufkommen von digitalen Samplern. Denn dadurch wurde das komplette Repertoire der aufgenommenen Popmusik einer breiten Masse zugänglich gemacht. Natürlich gab es auch in den Jahrzehnten danach noch viele Neuerungen in der Musik - sowohl technisch als auch musikalisch. Allerdings kommen hier die Veränderungen nur viel langsamer und schleichender und sind nicht mehr so krass revolutionär wie in dieser heroischen Phase des Pops.

Digitalisierung: Fluch & Segen

Die Musikkanäle sind überfüllt - fast schon verstopft, sagt Hans. Er findet, dass es einfach superschwer für Musiker*innen geworden ist, sich heute aus der Masse heraus zu heben. Außerdem ist es durch die von ihm angesprochene Demokratisierung zwar auch um einiges günstiger Musik zu machen und unter die Leute zu bringen - dadurch verdient man mit Musik aber auch um ein Vielfaches weniger. Das ist zum Beispiel auch einer der Gründe, warum die Ticketpreise für Konzerte so rasant angestiegen sind - denn das ist eine der wenigen sicheren Einnahme Quellen, mit denen Musiker*innen und DJs heute noch wirklich etwas verdienen können. Trotzdem erleichterte die Digitalisierung vielen Musiker*innen den Zugang zur Popmusik um einiges. Im Gegensatz zu Klassik und Jazz, wo extrem viel Können und Wissen Voraussetzung sind, kann eigentlich jede*r mit wenigen Mitteln Popmusik machen - sei es Punk oder Hip Hop.
"Ich glaube, dass die Rolle von technischen Entwicklungen sehr sehr wichtig immer war um neue Stile zu erzeugen, Platz für neue Akteure und Akteurinnen zu schaffen und so weiter."  - Hans Nieswandt 

Musiker*innen als Produkt

Die Entwicklung der Musikbranche durch die Digitalisierung bringt aber eben nicht nur Gutes für Künstler*innen mit sich. Besonders schade findet es Hans, dass in der heutigen Zeit - im Gegensatz zu früher - generell in der Musik nur noch wenig Geld zur Verfügung steht. Nicht nur für die Künstler*innen selbst, sondern auch für alle, die sonst dafür sorgen, das ein Song entstehen kann und bekannt wird. Früher verdienten Künstler*innen und Bands an ihrer Musik durch die vorherrschenden Strukturen mehr Geld - egal ob große Popkünstler wie zum Beispiel Paul McCartney oder auch kleine unbekannte Punk Bands - am Ende kam mehr dabei rum als jetzt. Wer heute mit der eigenen Musik andere Menschen erreichen will, muss sich oftmals selbst eher als Produkt verstehen und dementsprechend selbst vermarkten (lassen). Einigen Künstler*innen liegt das zwar, allerdings machen diese Musiker*innen nicht automatisch auch die interessanteste Musik. 
"Das ist sehr bedauerlich, weil es eben nicht jedem so liegt, sich selbst zu vermarkten." - Hans Nieswandt

Trotzdem verzichten die wenigsten Musiker*innen heute zum Beispiel auf Social Media, um ihre Musik zu vermarkten und viele kümmern sich um die Kanäle selbst. Das ist eigentlich nicht selbstverständlich und natürlich auch ziemlich anstrengend.

Hans sieht für dieses aktuelle Problem in der Popmusik allerdings nur eine Lösung:

"Ich fürchte, dass ein wichtiger Schlüssel zur Lösung ist, dass die Konsumenten - falls man sie so bezeichnen möchte, also Leute, die Musik lieben - für Musik Geld ausgeben. Das ist einfach total wichtig. Es gibt so eine Faustregel: Wenn man eine Platte drei- oder viermal gestreamt hat, dann sollte man sie sich kaufen." - Hans Nieswandt

Außerdem lohnt es sich ja auch - die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass du eine Platte, die schon mehrfach gestreamt hast und dann kaufst, danach noch ein paar Mal hörst.

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Du als Hörer*innen hast es also in der Hand

Und zwar wortwörtlich. Denn du entscheidest, ob du Künstler*innen mit deinem Geld unterstützen möchtest. Einerseits natürlich einfach als Wertschätzung, aber grundsätzlich würde der Kauf von Musik oder Merch den Künstler*innen tatsächlich schon unglaublich helfen. Denn Hans macht ganz klar: Die Unterstützung muss von den Hörer*innen kommen, weil von Spotify und großen Labels kommt nichts. Und das betrifft nicht nur Platten an sich - es macht schon sehr viel mehr aus, wenn du dir zum Beispiel als Wertschätzung die Songs einfach herunterlädst oder dir ein Buch von der Band kaufst oder oder oder. Mit einem Musikstreaming-Abo kannst du dir auf jeden Fall sicher sein, dass davon nichts bei deiner Lieblingsband übrig bleibt.
"Deswegen finde ich zum Beispiel so ein Modell wie Bandcamp toll, wo die Künstler 80 Prozent bekommen und die Plattform nur 20 Prozent. Dafür, dass sie die Plattform eben pflegt. Durch die große Menge an Künstlern ist dann für die Plattform natürlich auch noch gut was übrig." - Hans Nieswandt



Alternative Wege mit Musik Geld zu verdienen?

Andere Bands und Künstler*innen wie zum Beispiel BTS wagen den Gang an die Börse, um sich finanzieren zu können. Das Problem dabei ist allerdings, dass die Aktionär*innen natürlich auch eine gewisse Ausschüttung erwarten. Sprich - die Band muss am laufenden Band Hits produzieren, die einen gewissen Erfolg haben. Häufig liegen den Songs daher eher Analysen zugrunde, um den Erfolg vorher zu prognostizieren. Kreativität ausleben spielt häufig nur eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Doch Musik auf Knopfdruck - also Kunst auf Knopfdruck - das funktioniert eben nicht. Die unter diesem enormen Druck entstandene Musik, die Musiker*innen, die an der Börse sind veröffentlichen, ist dann natürlich nicht per se schlecht, schließlich ist Geschmack subjektiv. Trotzdem liegt hier ein ganz anderer Anspruch zugrunde, der so nicht für die gesamte Musikbranche und jede*n Musiker*in funktioniert. 

Und auch in anderen Bereichen der Musikbranche machen sich die Auswirkungen, die Streamingdienste wie Spotify & Co und die Digitalisierung bemerkbar, zum Beispiel im Musikjournalismus. Neue Platten und Songs sind viel schneller verfügbar - selten lesen Hörer*innen im Vorfeld noch Rezensionen, um sich vorab über den Release ein Bild zu machen. Das hat nicht nur auf den Musikjournalismus im Printbereich Auswirkungen, sondern auch auf Blogs im Netz. Dort findet man mittlerweile teilweise Bezahlsysteme, über die sich die Seiten finanzieren - die Musiker*innen zahlen also selbst dafür, dass über eine Platte oder einen Song geschrieben wird. Auch das geht laut Hans in die falsche Richtung.

Ein bisschen Optimismus für die Zukunft

Trotz allem sieht Hans die aktuelle Situation und auch die Zukunft unter dem Einfluss der Digitalisierung - vor allem aus Hörer*innen- und DJ-Sicht - nicht so düster. Es gibt schließlich aktuell immer noch Unmengen an guter Musik zu entdecken - neue Musik mit komplett anderen Stilen und eben auch alte Musik, die aus alten Archiven hervorgeholt und digitalisiert wird. Außerdem sieht er in dem Trend zurück zum Vinyl, dass unter Hörer*innen generell schon der Ansporn da ist, Geld für Musik auszugeben. Auch wenn Vinyl nicht unbedingt die beste Lösung ist, da das Format für die Umwelt nicht sonderlich gut ist, hat es für viele Fans doch auch ein bisschen etwas von Prestige. Wer schon mal bei einem*r Plattensammler*in zu Hause war, weiß, wie stolz diese auf ihre Sammlungen sind. Sie sind eben doch wie kleine Trophäen. Wenn sich unter Musikkonsument*innen also ein generelles Bewusstsein für Wertschätzung der Musik und der Arbeit, die dahinter steckt, entwickelt, könnte sich die Zukunft von Künstler*innen ins Positive wandeln.
"Da seh ich schon Hoffnung, dass da so ein gewisser Sinn dafür entsteht. Ist vielleicht auch zum Beispiel durch Corona jetzt ein bisschen mehr ins Bewusstsein getreten, weil es ja dann für alle Künstler irrsinnig eng geworden ist. Dass das alle nicht so von selber einfach geht. [...] Wenn es den Musikern gut geht, dann geht es möglichweiser auch irgendwann den Musikjournalisten wieder besser." - Hans Nieswandt

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