"Mit der Geburt des Kindes stirbt man selbst", sagt die Autorin dieses Textes und erklärt, was das Elternsein mit einem Neustart zu tun hat.
Obacht, das ist erstmal ein Mimimi-Text aus einer ziemlich privilegierten Position heraus. Falls genau das dein Kommentar dazu sein könnte: besser nicht weiterlesen!
Und bevor das Jugendamt alarmiert wird oder auch nur das erste "Manche Menschen verdienen es einfach nicht, Kinder zu bekommen" ausgespuckt wird: Ich liebe mein Kind und finde es ganz wunderbar, ja bin sogar der Meinung, es sei das beste Kind auf der ganzen Welt. Also nicht auf diese höfliche Weise, wie viele Eltern das nun mal so sagen, weil man das nun mal so sagt - ich glaube das wirklich!
Trotzdem trauere ich
Denn die Geburt meines Kindes führte zum Ableben der Person, die ich bis dato war. Dabei bin ich nicht mal so ein Elternteil, das sofort den Job geschmissen hat und nichts lieber macht als dem kleinen Wunder Windeln zu wechseln und in Babysprache zu sprechen. Ich gehe nicht mal wirklich gerne auf den Spielplatz wenn es nicht warm und trocken ist. Überhaupt führe ich eine sehr gleichberechtigte Beziehung, mein Partner und ich teilen uns das wirklich wunderbar 50/50 auf. Wie gesagt: Es liegt nicht daran, dass ich mich Hals über Kopf in die Mutterrolle gestürzt habe, dass mein altes Leben passé ist.Tatsächlich habe ich sogar sehr viel dagegen unternommen, als Muttergeist zu enden.
Retrospektiv betrachtet habe ich mich sogar ziemlich unter Druck gesetzt. Meine DJ-Pause war gerade mal zwei Monate lang und auch in die Hauptarbeit bin ich zumindest remote und verkürzt schon drei Monate nach der Geburt wieder eingestiegen. Außerdem hüte ich mich davor, mit kinderlosen Freund*innen ungehemmt über das Baby zu reden oder Fotos zu zeigen (obwohl ich das schon sehr gerne würde, denn wie schon gesagt: mein Baby ist cool).Dennoch: Nach und nach wurde mir bewusst, dass egal wie fest ich mich an die letzten Zipfel meines alten Lebens kralle, es mir immer mehr entgleitet.
Das klingt erstmal ganz schlimm und ja, gerade diese Corona-Pandemie macht das Ganze nicht besser. Trotzdem hat das alles irgendwie auch was Gutes, zumindest wenn wir Hesse und diesen bescheuerten Motivationskalendern Glauben schenken wollen: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Jaja, klar. Trotzdem ist ein anderer Lebenstipp wahnsinnig wahr - und wichtig:Carpe jeden Diem so, als wäre es der letzte vor der Schwangerschaft!
Einfach noch ein bisschen das auskosten, was du für eine mächtig lange Zeit erstmal knicken kannst. In meinem Fall betrifft das folgende Passionen: Auf Partys Weinschörlchen trinken und Kette rauchen. Auf tagelange Festivals gehen! Und bis in die Nacht hinein Spielchen zocken. Oder den ganzen Sonntag über eigentlich nur im Bett rumhängen und Serien bingen. Und als wertvoller Teil des Teams in der Arbeit angesehen zu werden. Oder regelmäßig als DJ eingeplant zu werden. Oder bei spontanen Treffen von Freund*innen eingeladen zu werden.Das Leben einer Fremden
Denn jetzt ist alles anders
Kaum ein Element aus meinem alten Leben besteht noch so wie vorher. Alkohol und Kippen - eh klar - sind während Schwangerschaft und Stillzeit tabu. Und gut, die post Schwangerschafts Festival-Saison fiel direkt auf das erste Corona-Jahr. Das betrifft natürlich mittlerweile auch das Auflegen. Aber Fakt ist: Seitdem das Kind da ist, scheint da so ein Schild an meiner Tür zu hängen. "Baby on Board, bitte nicht stören".Als ob ich mich von 24 Stunden nicht mal drei, vier von zu Hause entfernen kann, werde ich für manche DJ-Termine gar nicht mehr gefragt - obwohl meine Teilnahme immer in Stein gemeißelt war. Erst beim Nachfragen dann: "Achso, ja klar darfst du, dachte du kannst nur nicht, wegen Baby und so". Am jeweiligen Abend wird dann auch recht zuverlässig die Killerfrage (quasi mit Panik in den Augen) gedroppt:
"Uah, wo ist das Baby???"
Das Witzchen, dass ich es an der Kasse abgegeben habe, wird eher verständnislos aufgenommen. Man, beim Vater ist das natürlich. Und selbst wenn ich keinen Partner hätte der genauso viel Bock auf und Liebe für das Kind hat wie ich: Dann wäre es halt sonst bei einer anderen Person, die ich für vertrauenswürdig ansehe. Diese bekackte Frage müssen wir uns einfach verkneifen - oder sie nicht nur Müttern, sondern allen Menschen gleich stellen. Getrieben von vermeintlicher Fürsorge zeigt das viel mehr, wie gerne Menschen Mütter kontrollieren und vor allem kritisieren. Trägt auf jeden Fall nicht dazu bei, die Findung der neuen Rolle anzukurbeln.Das Gefühl, nicht mehr ganz vollwertig zu sein, bekommt man als Elternteil natürlich auch in der Arbeit zu spüren, sofern man kein Karrieremann ist, der wenige Wochen nach der Geburt direkt Vollzeit wieder einsteigt. Aber sowas ahnt man doch irgendwie nicht, bevor man in Elternzeit geht, oder? Ich zumindest habe mir das ganz naiv ungefähr so vorgestellt: Ich gehe - und komme wieder. Aber die Realität: In der Zwischenzeit wurde das Schloss ausgetauscht und erstmal kommst du nur mit Besucherausweis rein (um das Gefühl mal als dramatische Metapher auszudrücken).
Um diese ganze Identitätsverwirrung komplett zu machen, muss ich mich noch mit einem völlig neuen Äußeren auseinandersetzen:
Im Körper einer Fremden
Auch wenn der unglaubliche Bauch recht prompt nach der Geburt verschwunden war, ist ein bisschen was an Gewicht geblieben. Und alles hängt ein bisschen mehr. Logisch: Während ich vorher so gut wie kaum Oberweite hatte, muss ich mich damit abfinden, dass da jetzt nunmal was ist, das sich ganz natürlich der Schwerkraft beugt.Mein Körper war für neun Monate ein Zuhause, hat unter anderem Organe, ein Nervensystem und Fingernägel erschaffen und im Anschluss sich so modifiziert, dass er ein Lebewesen nähren kann. Was der Körper in der Schwangerschaft und vor allem auch danach leistet, ist einfach abgefahren. Ich finde er hat dementsprechend das volle Recht dazu, sich nachhaltig zu verändern.
Trotzdem ist der Anblick im Spiegel, beziehungsweise das ganze Körpergefühl erstmal ungewohnt. Natürlich könnte ich versuchen, das zu ändern. Mich versuchen zu motivieren, nach meist richtig beschissenen Nächten in die Laufschuhe zu springen und unterm Laufen noch ein paar Sit Ups zu machen. Aber boah ne, so sehr verändert habe ich mich dann doch nicht.
Nunja, wie dem auch sei - soviel zum versprochenen Mimimi-Teil. Kommen wir nun zum:
Zwischenteil
Wie schon gesagt: Ich bin mir bewusst, in was für einer privilegierten Position ich bin. Die Schwangerschaft verlief gut, das Kind ist gesund und super und mein Mann ein gleichwertiger und -anwesender Elternteil. Ich bin mir auch bewusst, dass ich schon irgendwann wieder eine passende Rolle in meinem Film finden werde. Wahrscheinlich habe ich nur einfach Angst, den Neustart zu wagen. Wie eben ein Kind, das auf jeden Fall wieder mit dem Spielzeug, das es jahrelang nicht angerührt hat, spielen will, sobald man's weggeben will. Genau so schaue ich auf mein Leben vor der Schwangerschaft und denke: Ach toll, jeden Tag husten, Atemlosigkeit, verkaterte Wochenenden mit Schmerzen und tagelange Lethargie - ich will, ich will! Das ist doch Bullshit.Kaum eine Zwischenphase ist schön
So ein Kokon trifft immerhin auch nicht jedermenschs Geschmack. Doch ist er notwendig, um aus einer kleinen quirligen Raupe, die ihr bestes Leben lebt und sich alle Erfahrungen, die sie zwischen das Mundwerkzeug bekommt, einverleibt. Bis sie schließlich ausgefüllt genug ist, sich einmummelt und zack - nach einer mehr oder weniger langen Zeit als schillernder Schmetterling den hässlichen Kokon durchbricht - ausgestattet mit einigen neuen Features wie Flügeln. Die sind für mich höchstens metaphorisch möglich, aber trotzdem: Die Puppenphase lohnt sich!Also egal wie sinnlos, müde, schwach, teilweise überhaupt nicht existent ich mich fühle und egal wie sehr ich gerade in einer Zwischenphase hänge, in der ich mich auf das das Mamasein reduziert fühle: Das alles wird sich ziemlich wahrscheinlich mit der Zeit von selbst legen. Ich muss lediglich akzeptieren, dass sich das Leben mit einem neuen Leben nunmal verändert.
Meine Wunschrechnung kann einfach nicht aufgehen.
Mein altes Leben hätte ich gerne zu 100 Prozent zurück. Gleichzeitig will ich aber auch das neue zu 100 Prozent führen. Doch alles was maximal geht, sind 50/50 und dabei gehen nun mal 50/50 flöten.Eigentlich muss ich ich nur eines begreifen: Es gibt nichts lahmeres, als zu lange auf der Party zu bleiben. Dass ich es vermisse hirnlos Alkohol zu trinken, Zigaretten zu rauchen und viel zu arbeiten spricht nicht unbedingt dafür, dass mein Leben vor der Schwangerschaft das Nonplusultra eines Lebens war, das man so führen kann. Aber es war mein Leben. Das Leben, das ich kannte - das, das ich konnte. Natürlich macht es Angst, plötzlich ganz andere Verantwortungen zu haben.
Artikel teilen: