N Wie Nuklearenergie

N Wie Nuklearenergie

egos4future - Von A bis Z

Von  Miriam Fischer
Jeder Buchstabe ein Thema: Wir fassen die Basics zu Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zusammen. Diese Woche: N wie Nuklearenergie.

Um den Klimawandel zu stoppen, müssen wir die CO2-Emissionen global drastisch reduzieren und dafür dringend weg von Gas, Kohle und Öl: Ungefähr 75 Prozent der Treibhausgasemissionen stammen aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Hinzu kommt der drohende Energiemangel aufgrund des russischen Angriffskrieges und das daraus folgende Ziel, möglichst schnell unabhängig von Gasimporten aus Russland zu werden. Wir brauchen also aus mehreren Gründen einen schnellen Umstieg auf klimafreundliche Alternativen - und da kommt auch in Deutschland aktuell wieder die Nuklearenergie ins Spiel. 

Nuklearenergie: Nein, danke oder ja, bitte?

Ende 2022 soll in Deutschland eigentlich das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden. Das hat die Bundesregierung 2011 beschlossen, nachdem die nukleare Katastrophe in Fukushima noch einmal deutlich gemacht hat, welche unvorhersehbaren Restrisiken bei Atomkraftwerken existieren. Aktuell wird allerdings intensiv über eine Laufzeitverlängerung, einen sogenannten Streckbetrieb, diskutiert: Union und FDP fordern aus Sorge, Russland könnte Gaslieferungen komplett stoppen, schon seit einiger Zeit eine AKW-Laufzeitverlängerung. SPD und Grüne waren bisher eigentlich skeptisch, zuletzt hat Bundeskanzler Olaf Scholz allerdings eine Verlängerung der Atomkraftwerke in Erwägung gezogen. Auch die Grünen wollen einen befristeten Weiterbetrieb teilweise nicht mehr komplett ausschließen. Denn, so der Hintergrund, wenn länger auf Atomenergie gesetzt wird, könnte im Falle eines Energiemangels mehr Gas zum Heizen, statt für Strom genutzt werden. Ob es zu einem Streckbetrieb der AKWs kommt soll nach einem Stresstest für das deutsche Stromnetz entschieden werden. In diesem wird untersucht, inwieweit die Energieversorgung im Herbst und Winter gesichert ist. Die Ergebnisse dafür soll es in den nächsten Wochen geben. 

Ein Teil der in Deutschland genutzten Energie wird allerdings so oder so weiterhin aus anderen Ländern importiert und kann deswegen auch nach 2022 Atomenergie sein. Denn andere Nationen wollen sich sowieso nicht von der nuklearen Energie verabschieden, im Gegenteil: Länder wie beispielswiese die USA, China oder Russland wollen Atomkraft sogar weiter ausbauen. 

Auch Frankreich hält seit Jahren an der Atomkraft fest und hat sich dafür eingesetzt, dass Kernenergie Teil der künftigen EU-Klimapolitik wird.

Die EU-Kommission hat Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich eingestuft. Dafür haben sich Frankreich, Finnland und viele osteuropäische Länder stark gemacht, von Deutschland, Österreich, Luxemburg, Dänemark und Portugal gab es heftige Kritik. Die sogenannte Taxonomie-Ordnung, wonach Atomkraftwerke unter bestimmtem Voraussetzungen als nachhaltig und förderungsberechtigt eingestuft werden können, soll ab 2023 gelten. Wo wir also vor einem halben Jahr dachten, Nuklearenergie hätte in Deutschland sowieso keine Zukunft mehr, kann es jetzt tatsächlich sein, dass sich das wieder ändert.

Heißt es also Klima retten mit Atomkraft?

Die Entwicklungen in der EU und die Debatte in Deutschland spiegeln einen internationalen Trend wider: Der Microsoft-Gründer Bill Gates behauptet in seinem Buch Wie wir die Klimakatastrophe verhindern, dass wir wir auf sogenannte saubere Atomkraft setzen müssen, wenn wir unser Klima retten wollen. Und damit steht er nicht alleine da: Immer mehr Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Publizist*innen sehen in der Atomkraft die Zukunft für unseren Planeten. Aber ist das wirklich so? Schauen wir uns die Vor- und Nachteile mal genauer an...

Die Vorteile von Nuklearenergie

Atomkraftwerke sind um ein vielfaches klimafreundlicher als jedes Kohlekraftwerk. Der CO2-Ausstoß ist tatsächlich sogar ähnlich gering wie bei der Windkraft, allerdings haben Atomkraftwerke sogar einen geringeren Flächenverbrauch und liefern unabhängig von Tageszeit und Wetter immer Strom. Betrachtet man nur die Klimabilanz, steht die Kernenergie also sehr gut da: 

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Our World in Data | Hannah Ritchie, Max Roser

Wenn die Klimabilanz von Atomkraftwerke aber so gut ist - warum will sich Deutschland dann langfristig überhaupt von der Nuklearenergie verabschieden? Das liegt vor allem an zwei fundamentalen Nachteilen der Atomkraft...

Die Nachteile von Nuklearenergie

Nuklearenergie hat ein großes Problem: Bei der Kernspaltung entsteht radioaktives Material und das wiederum bringt (mindestens) zwei Nachteile mit sich:

Das Restrisiko

Solange die radioaktive Strahlung im Kernkraftwerk bleibt, gibt es eigentlich kein Problem. Erst wenn die radioaktiven Strahlungen, zum Beispiel durch einen Unfall, in die Umwelt gelangen, hat das extreme Folgen. Das haben die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima schmerzhaft deutlich gemacht. Allerdings zeigt die Grafik (s.o.) auch, dass pro Jahr wesentlich mehr Menschen durch Kohlekraftwerke sterben, als
durch Atomkraftwerke.
Das liegt vor allem an der Luftverschmutzung, die Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen verursacht.

Wenn es aber zu Reaktorunfällen kommt und radioaktive Strahlung austritt, kann das extreme Auswirkungen auf die betroffenen Menschen haben. Es ist allerdings nicht ganz einfach zu beziffern, wie drastisch diese Auswirkungen in der Realität sind. Wie viele Menschen zum Beispiel tatsächlich durch Strahlenbelastung gestorben sind, weil sich Krebszellen als Langzeitfolge des Reaktorunfalls in Fukushima entwickelt haben, kann nicht abschließend gesagt werden. Verschiedene Quellen kommen da zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen, da Langzeitstudien bisher fehlen. Das Bundesamt für Strahlenschutz sagt dazu Folgendes:


Der Atommüll

Das andere große Problem der nuklearen Energiegewinnung: Der stark strahlende Atommüll, für den es immer noch kein Endlager gibt. Ein solches zu finden, ist gar nicht so einfach, da es eine Million Jahre halten müsste - das steht im deutschen Standortauswahlgesetz. Aktuell wird Atommüll für den Transport und die Zwischenlagerung in sogenannten Kastorbehältnissen aufbewahrt - das stellt allerdings keine dauerhafte Lösung dar:


Weltweit gibt es derzeit noch kein einziges Endlager für den radioaktiven Müll und Atommüll zu recyclen (Stichwort Transmutation) ist in der Praxis auch noch keine Möglichkeit.

Abgesehen von den Faktoren Restrisiko und Endlagerung kommt hinzu, dass die derzeitigen Reaktoren (in Deutschland) sehr veraltet sind.

Es müssten also eigentlich erstmal neue Atomkraftwerke gebaut werden, wenn es statt um einen Streckbetrieb um eine langfristige Lösung geht. In China, Südkorea, Japan und Finnland passiert das aktuell: Dort werden neue Reaktoren gebaut, die wesentlich sicherer sein sollen als die alten, allerdings kostet das sehr viel Zeit und Geld. Bis ein Kernkraftwerk fertig gebaut ist dauert s bis zu zehn Jahre, eine Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaft stuft Atomkraft deswegen auch als nicht profitabel ein. Für die Klimakrise ist das also nicht wirklich hilfreich, denn da brauchen wir schnellere Lösungen. Außerdem sollte man bei der Debatte um einen Streckbetrieb im Hinterkopf behalten, dass die drei am Netz verbliebenen Atomkraftwerke (Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg) aktuell auch nur rund fünf Prozent des deutschen Stroms erzeugen. 

Aber es ist ja auch nicht so, als hätten wir keine anderen klimafreundlichen Alternativen zu Kohle, Öl und Gas. Denn ja, betrachtet man nur Kohle- und Atomkraft, schneidet Atomkraft wirklich um ein Vielfaches besser ab - im Vergleich mit erneuerbaren Energien schaut das aber anders aus.

Erneuerbare Energien

Dank Wind, Sonne und Wasser haben wir eigentlich schon jetzt profitable, klimafreundliche und risikofreie Methoden, Strom zu erzeugen. Und obwohl es langfristig gesehen zwar heißt, dass in Deutschland die erneuerbaren Energien einen Großteil der Stromversorgung ausmachen sollen, wann das allerdings tatsächlich so sein wird, ist bisher noch nicht ganz klar. Möglich ist es aber, sagen einige Expert*innen wie beispielsweise Energieexperte Hans-Josef Fell hier erklärt.

"Die Sonne bietet uns jährlich zehntausend Mal mehr Energie, als wir derzeit Energiebedarf haben. Die braucht man nur ernten, indem man die Techniken hinstellt. Und die Techniken sind da. Auf allen Kontinenten dieser Erde sind Millionen von Solaranlagen, Windrädern, Batterien und anderes installiert." - Energieexperte Hans-Josef Fell

Und erst kürzlich ergab eine Studie der Stanford University, dass das globale Energie-System für 62 Billionen US-Dollar zu 100 Prozent auf Wind-, Wasser- und Solarkraft umgebaut werden könnte und die Summe bereits nach sechs Jahren wieder eingespart wäre.

Aber: Auch erneuerbare Energien haben (zumindest noch) Nachteile:
Vor allem die Punkte Zuverlässigkeit und Konstanz stellen aktuell noch größere Probleme dar. Wir brauchen dringend Batterien oder andere Speichermöglichkeiten, damit auch Strom aus erneuerbaren Energien unabhängig von Wetter und Tageszeiten verfügbar ist.



Fazit

Unser Stromverbrauch steigt und wir brauchen dringend klimafreundliche Energiequellen, um das 1,5 Grad - Ziel zu erreichen. Der drohende Energiemangel macht den Umstieg noch notwendiger. Denn dass wir uns von fossilen Brennstoffen verabschieden müssen, ist klar - die Frage ist, ob wir diese Lücke mit nuklearer Energie oder mit erneuerbarer Energie ausgleichen. Kernenergie produziert kaum CO2 und hat eine gute Klimabilanz. Das heißt es könnte tatsächlich eine Menge CO2 eingespart werden, wenn man die alten Reaktoren noch etwas länger in Betrieb lassen würden. Außerdem würde es dabei helfen, Gas zu sparen. Die Probleme der Endlagerung und des Restrisikos bleiben. Wenn es aber um neue Atomkraftwerke geht, müssen wir uns eine ganz andere Frage stellen:

In welche Energie-Innovationen soll in Zukunft Zeit und Geld gesteckt werden?

Kernenergie zu stärken und neue Kraftwerke zu bauen, ist aufgrund der Nachteile nicht die Lösung für die Klimakatastrophe. Außerdem ist der Bau von neuen Kraftwerken eben sehr teuer und zeitaufwändig, weswegen Nationen oft in Kernenergie anstatt in erneuerbare Energie investieren und zusätzlich noch gleichzeitig an Kohleenergie festhalten - das bringt in Hinblick auf das 1,5-Grad-Ziel also relativ wenig. Kernenergie auszubauen hätte immerhin nur dann einen positiven Einfluss auf unser Klima, wenn im Gegenzug Kohlekraftwerke abgebaut werden würden. Und selbst wenn das der Fall wäre: Investitionen in Nuklearenergie bedeuten eben in der Realität leider fast immer, dass erneuerbare Energien deswegen auf der Strecke bleiben - obwohl in diesen die langfristige Lösung zur Rettung unseres Planeten liegt. Immerhin haben sie weder ein Restrisiko, noch das Problem der Endlagerung. In Anbetracht dessen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien (vor allem in Bayern) sowieso schon viel zu langsam voran geht, sollte also eigentlich endlich der Fokus darauf liegen, Wind-, Wasser- und Sonnenenergie zu stärken.



Was denkst du: Brauchen wir Nuklearenergie, um die Klimakatastrophe zu stoppen und einem Energiemangel entgegen zu wirken, oder ist es richtig, sich von der Atomkraft endgültig zu verabschieden? Schreib's uns an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder per WhatsApp an 089/360 550 460

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