Wie geht Erste Hilfe?

Wie geht Erste Hilfe?

Rettungssanitäter*innen im Interview

Wie geht nochmal die stabile Seitenlage, wann muss ich den Notarzt rufen und wie ist es, als Sanitäter*in bei Konzerten?

Egal, ob Hitzschlag, Herzinfarkt oder Verkehrsunfall - im Notfall ist immer es wichtig, schnell zu reagieren und den Betroffenen zu helfen, bis der Rettungsdienst kommt. Doch wie handle ich überhaupt richtig in einer Notsituation?

Die Hauptsache ist: überhaupt helfen

Wer den Führerschein gemacht hat, hat spätestens beim Theorieunterricht auf jeden Fall schon mal einen Erste-Hilfe-Kurs durchlaufen müssen - doch meistens bleibt es der einzige Kurs und unsere Hirne rosten über die Zeit ein. Vieles ist nach einigen Jahren vergessen und die meisten von uns wissen deshalb nicht, was sie in einer problematischen Situation tun sollen, oder haben Angst einen Fehler zu machen.

 "Falsch machen kann ich eigentlich nur etwas, wenn ich nichts tue. 112 Notruf absetzen. Das ist das Erste und das Wichtigste, was man tun kann und sollte."- Matthias, Sanitäter beim Bayerischen Roten Kreuz

Wann ist der Rettungsdienst gefragt?

Ok, also mit Sanitäter*in rufen macht man nichts falsch. Das stimmt zwar auf der einen Seite, trotzdem sollte man natürlich nicht bei einer Laktoseintoleranz oder einer Erkältung sofort zum Telefonhörer greifen.

Notruf bei Bagatellfällen

Laut Rettungsdienstgesetz sind Notfälle definiert als "Verletzte oder Erkrankte, die sich in Lebensgefahr befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind, wenn sie nicht unverzüglich medizinische Hilfe erhalten". Doch echte Notfälle sind inzwischen eine Seltenheit im Rettungsdienst.

Oft treffen Sanitäter*innen am Einsatzort auf Patienten, die bei einem Hausarzt besser aufgehoben wären.

Auch Matthias und Sohrab vom Bayerischen Roten Kreuz erleben immer öfter, dass Patienten*innen bei Lappalien schnell den Rettungsdienst rufen.
 "Der Rettungsdienst ersetzt immer mehr die Dorfkrankenschwester. Viele vergessen, dass der Rettungsdienst für akute Fälle ist. Wenn man Beschwerden hat, die schon länger - also über Wochen oder Tage - andauern, dann sollte man zum Hausarzt am nächsten Morgen gehen und nicht den Rettungsdienst rufen, denn es handelt sich nicht um lebensbedrohliche Notsituationen." - Sanitäter Matthias

Akute Not

Wenn du eine problematische Situation beobachtest, aber unsicher bist, ob es sich um einen Notfall handelt, gibt es eine einfache Eselbrücke, bei der du weißt, dass dringend ein Rettungsdienst gebraucht wird: Das ABC.

  • Airway: Ist der Atemweg frei oder ist er blockiert? Das kannst du überprüfen, indem du den Kopf nackenwärts beugst, damit der Atemweg nicht durch die Zunge blockiert wird.
  • Breathing: Eine normale Atmung hört man und sieht man in der Regel nicht. Eine Unnormale Atmung ist sehr hektisch, unruhig und unregelmäßig.
  • Circulation: Hat die Person noch einen Puls?

Diese drei Punkte sind allerdings nichts, was man erst auswendig lernen müsste, sondern eigentlich gesunder Menschenverstand.

Denn sobald man merkt, dass eine Person keine Luft mehr bekommt oder bereits nicht mehr atmet und kein Puls zu spüren ist, muss in jedem Fall der Rettungswagen gerufen werden.



Bis der Rettungswagen kommt

Wenn du den Rettungsdienst gerufen hast, heißt es Zeit überbrücken, bis die Sanitäter*innen da sind. Dabei solltest du übrigens nicht unterschätzen, wie wichtig es ist, sich bemerkbar zu machen, damit der Rettungswagen den Notfall sofort sieht, wenn er um die Ecke geschossen kommt oder dich in einer größeren Menschenmenge so schnell wie möglich findet.


Erste Hilfe

Sollte die betreffende Person noch bei Bewusstsein sein, ist die oberste Priorität sie zu beruhigen, mit ihr zu sprechen und sie wach zu halten. Gib ihr etwas zu trinken, aber nur kleine Mengen, damit die Person sich nicht verschluckt.

Wenn die Person nicht mehr ansprechbar ist, solltest du sie sofort in die stabile Seitenlage bringen und die Atmung kontrollieren.

Wenn du mit deinem Ohr an den Mund des*r Verletzten gehst, achte darauf, ob du den Atem spürst, hörst und ob sich der Bauch hebt und senkt.

Stabile Seitenlage

Wie ging die jetzt gleich nochmal? Die meisten bekommen in der Vorstellung spätestens jetzt Panik...
"Viele haben Angst vor der stabilen Seitenlage, weil sie das mal in der Schule gelernt haben und das nur noch als total kompliziert in Erinnerung haben"- Sanitäter Matthias

Eigentlich, sagt Matthias, muss man auch hier nur an drei Dinge denken: winken, kuscheln, drehen.

  • Winken: Den dir zugewandten Arm im rechten Winkel nach oben abgewinkelt hinlegen (manche sagen dazu auch "Kaktus", weil diese Position an eine typische Kaktuszeichnung in Comics erinnert)
  • Kuscheln: Den anderen Arm greifen und an die dir zugewandte Wange des*der Verletzten legen
  • Drehen: Das Knie des abgewandten Beines anwinkeln und zu dir ziehen, dabei dreht sich der*die Verletzte sanft zur Seite. (Achtung: Kuschelhand dabei nicht loslassen!)

Reanimation

Falls der*die Betroffene zu atmen aussetzt, solltest du ohne Zögern mit der Herzdruckmassage und dem Beatmen beginnen.
 "Es kann bis zu zwölf Minuten dauern, bis der Rettungsdienst eintrifft und eine Herzdruckmassage auszuüben kann unglaublich anstrengend sein. Deshalb ist es wichtig die 112 so früh wie möglich anzurufen, damit die Sanitäter dich schnell ablösen können." – Sanitäter Matthias

Bei der Reanimation gilt die Regel 30x2, unabhängig davon, ob die betroffene Person ein Kind oder Erwachsener ist. Das heißt: Jeweils 30 Mal in die Mitte des Brustkorbs drücken und danach zwei Mal beatmen. Das wiederholst du solange, bis die Sanitäter da sind.

Orientier dich beim Rhythmus des Drückens am besten an einen Song mit 100-120 bpm. Die bekanntesten Klassiker sind "Stayin' Alive" von den Bee Gees oder "Highway To Hell" von ACSDC.

Gähn - wir haben dir mal eine Playlist mit Songs unserer egoKünstler*innen gebastelt, die dir helfen können, das richtige Tempo zu finden.


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Quelle: flickr | Tim Reckmann | CC 2.0


Wichtig: Achte auf dich selbst

Bevor du jedoch irgendwelche Erste-Hilfe-Maßnahmen einleitest, solltest du immer in erster Linie darauf achten, dich nicht selbst zu gefährden. Denn damit ist niemandem geholfen. Auf einer befahrenen Straße zum dem*der Verletzten zu gelangen oder als Nichtschwimmer*in jemanden vor dem Ertrinken zu retten, ist deswegen keine so gute Idee.
"Primäres Ziel - auch bei der Ersten Hilfe - ist: Bringe dich nicht selbst in Gefahr und rufe die 112. Versuche andere Leute zu aktivieren. Wenn du selbst nicht in der Lage bist zu helfen, hole dir Hilfe, indem du offen auf andere Leute zugehst und sie direkt ansprichst." - Sohrab vom Bayerischen Roten Kreuz

Auffrischen

Wer in eine Notsituation gerät, muss schnell das Wissen abrufen können, wie man überhaupt richtig handelt. Das funktioniert nicht mehr so gut, wenn der Kurs schon ein paar Jahre her ist.

Genau deswegen ist ein Auffrischungskurs in regelmäßigen Zeitabständen, der das nötige Wissen in unserem Langzeitgedächtnis verankert, unheimlich wichtig.

Problem: Weil viele Menschen in Städten gar keinen Führerschein haben, gibt es immer mehr Menschen, die noch nie einen Erste-Hilfe-Kurs belegt haben.

Erste Hilfe verpflichtend?

Das Bayerische Rote Kreuz setzt sich dafür ein, dass Erste-Hilfe-Kurse nicht nur im Rahmen einer Führerscheinprüfung stattfinden, sondern für alle Menschen verpflichtend in der Schule oder im Beruf sein sollen. Denn - Hand aufs Herz - freiwillig werden Erste-Hilfe-Kurse nur selten belegt.
"Die aktuelle Generation hat schon jetzt oft keinen Führerschein mehr und irgendwann haben wir nur noch Menschen in Deutschland, die nie einen Erste-Hilfe-Kurs machen mussten. Es gibt weder ein Gesetz, das es in der Schule als Pflichtfach vorschreibt, noch gibt es im Berufsleben eine Verpflichtung." - Sanitäter Matthias


Sanitäter auf Konzerten

Einsätze von Rettungssanitäter*innen sind besonders bei großen Veranstaltungen mit vielen Menschen wie Konzerten oder Festivals oft eine Herausforderung. Kreislaufkollapse oder mehr oder weniger schlimme Verletzungen gehören hier zur Regel und die Sanitäter*innen haben alle Hände voll zu tun.

Gerhard Bieber, Sanitäter bei den Johannitern, ist schon jahrelang auf Konzerten und Festivals unterwegs. Meistens sind es die typischen Ursachen, seine Hilfe gebraucht wird.

"Oft hat man lange Anfahrtswege, man hat nicht viel gegessen und möchte auch nicht viel Geld für Essen ausgeben. Das heißt der Körper hat einfach zu wenig Brennstoffe und zu wenig Energie und so ein Konzert ist anstrengend. Häufig wird auch noch dazu wenig Wasser getrunken, weil man ja auf dem Toilettengang etwas verpassen könnte." – Sanitäter Gerhard

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Quelle: flickr | Ivan Radic | CC 2.0 

Mitdenken

Um bei Open-Air-Konzerten nicht selbst zum Erste-Hilfe-Fall zu werden, schadet es nicht, Cap oder Sonnenhut gegen die Sonne dabei zu haben und das Bier eben doch manchmal gegen einen Schluck Wasser zu ersetzen. Dinge, auf die eigentlich jede*r von uns mit gesundem Menschenverstand kommen kann.

Rettungseinsatz nach Musikgenre unterschiedlich

Gerhard kann übrigens nach jahrelanger Erfahrung sagen, dass die Einsätze sich bei Fans verschiedener Genres eindeutig unterscheiden.

So sind Metalheads zum Beispiel hart im Nehmen und kommen trotz Verletzungen nur selten in die Nähe des Sanitäterzelts.

Beim "Volksrock’n’Roller" Andreas Gabalier ist die Zahl der Blasen und verstauchten Füße deutlich höher als sonst, weil Fans die schicken Haferlschua noch nicht gut genug eingetragen haben. Die typischen Boy-Band-Ohnmachtsanfälle à la *NSYNC sind nach dem letzten großen Teeniehype Tokio Hotel um einiges weniger geworden und bringen die Rettungssanitäter nicht mehr zum Verzweifeln. Aber klar haut es auch mal den ein oder anderen Erwachsenen um.

Übrigens geht eine Grundausbildung bei den Johannitern lediglich über vier Wochenenden - wenn du die durchlaufen hast, hast du als Sanitäter*in quasi ein Freiticket für alle Konzerte.

"Man bekommt schon oft was von dem Konzert mit und ist nah an einem*r Künstler*in, aber natürlich haben die Patienten*innen immer Vorrang. Ich kann nicht mehr auf die Bühne schauen, wenn es einem schlecht geht." – Sanitäter Gerhard


Liebe im Sanitäterzelt

Tatsächlich ist es schon ein paar Mal vorgekommen, dass jemand öfter als notwendig bei den Sanitäter*innen aufgetaucht ist. Grund dafür waren kleine Schwärmereien:
 "Es gibt natürlich schon manchmal den*die ein oder andere*n Konzertbesucher*in, der*die sich in den*die Sanitäter*in verliebt und es gibt auch schon die ein oder andere Beziehung, die durchaus aus einem Sanitätsdienst entstanden ist." - Sanitäter Gerhard
Ein Rettungseinsatz mit romantischen Happy End – wenn das nicht nach Hollywood klingt, hehe.




Helfen, wenn jemand Hilfe braucht. Auch wenn der Rettungsdienst alles tut, um so schnell wie möglich am Einsatzort zu sein, ist es wichtig, bei einem Notfall selbst in der Lage zu sein, erste Hilfemaßnahmen einzuleiten. Jede*r von uns sollte einen Erste-Hilfe-Kurs abgelegt haben und regelmäßig auffrischen. Denn wenn ein Notfall doch mal kommt, ist es besser, vorbereitet zu sein.



Hier gibt es das ganze Interview mit Matthias und Sohrab vom Bayerischen Roten Kreuz  für dich zum Nachhören:

  • Rettungssanitäter im Gespräch mit Elise
    Das Interview zum Nachhören

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