München macht mich arm

München macht mich arm

Meinung: Aus der Sicht eines Wohnungssuchenden

Von  Sebastian Heigl
Gen Z (berufstätig, Steuerklasse 1) sucht Bleibe in München - eine Reflexion.

Nach mittlerweile fast zwei Jahren "new normal" kann ich immerhin über den Satz "Pandemie-Zeit ist Homeoffice-Zeit" beruhigt schmunzeln, wenn ich ihn morgens nach dem Aufstehen, zur Dusche watschelnd, wie ein Ritual in meinen nicht vorhandenen Bart nuschle. Während ich mich dann den Tag über von Videocall zu Videocall hangle, schiele ich immer mal wieder fleißig auf den Handybildschirm, könnte ja sein, dass die ImmoScout App sich wieder meldet:
"Ihre Suchergebnisse für München, 2 Zimmer, EBK,  bis max. 1000€ warm, keine Haustiere, Balkon optional."
Ah stark, was Neues! Zwei Sekunden später dann die Desillusion: Daglfing - ein familienfreundlicher Wohnbezirk am Stadtrand - 1,5 Zimmer ohne Einbauküche, dafür aber ein kleiner Balkon in einer Dachgeschosswohnung eines Einfamilienhauses über einem älteren Ehepaar, beide seien bereits über 75 Jahre alt, Besuch nach 22 Uhr würde nicht gerne gesehen, 900€ zzgl. einmalig 2500€ Kaution - Strom, Heizung und weitere Nebenkosten sind nicht inkludiert. So in etwa sieht mein Alltag sieht Wochen, wenn nicht Monaten aus.

Desillusion

Leben in einer wunderschönen Stadt - aber wo? Und wenn ja, mit welchem Geld? Dabei genieße ich aktuell einen sehr privilegierten Stand, so ehrlich muss ich immerhin zu euch sein, um es mit den Worten von Erobique zu sagen. Meine ehemalige WG wurde kürzlich aufgelöst und ich kann es mir, zumindest vorübergehend, knapp leisten weiter in der Wohnung zu hausen, bis etwas Günstigeres gefunden ist. Doch die Tage sind gezählt, die Uhr tickt oder fügt hier gerne jede andere billige Metapher ein, die vergehende Zeit zu symbolisieren soll.

Fakt ist: Es ist einfach verdammt schwierig in München eine Wohnung zu finden.

München - im Winter grau und trist, wie jede andere Großstadt, im Sommer wunderschön. Die sicherste, sauberste und verdammt nochmal teuerste Großstadt Deutschlands. Ja, München - "was glaubst du denn?!", hab ich in letzter Zeit so oft von Freund*innen und Bekannten als Reaktion auf meine Geschichten von der wohl nie endenden Wohnungssucherrei gehört. "Was glaubst du denn, des ist halt München, gell?" Dieses "München" ist damit wohl ein gesamtgesellschaftlich akzeptiertes und anscheinend indiskutables Argument für enorm hohe Mieten.

Gut, so ganz pseudo empathisch, aus Sicht der die Vermieter*innen, ist die Sache schon ein klein Wenig nachvollziehbar. Kapitalismus at its best. Flashback in die 8. Klasse Wirtschaftsunterricht - ein Typ namens Adam Smith labert staubtrocken irgendwas von Angebot und Nachfrage. Würde ich eine Wohnung vermieten, denk ich mir, würde ich ziemlich wahrscheinlich auch mit dem Preis hochgehen, wenn das schon alle hier machen. Schön langsam, aber dennoch. Klar, jede*r hat doch seine/ihre eigenen Baustellen im Privaten, mehr Kohle schadet da ja nie.
Dieses System befeuert sich, vor allem in der Münchner Innenstadt, von selbst:
Ortsansässige, milliardenschwere Unternehmen und Konzerne locken wohlhabende Mieter*innen in die Stadt, die das finanzielle Level einer tendenziell viel zu hohen Monatsmiete mit Leichtigkeit halten können und definieren so im Handumdrehen einen neuen Status Quo am Markt. Belastend also, wenn man Soziologie studiert hat, beruflich was Kreatives macht und nicht gerade in der Tech- , Pharma- oder Automobilbranche arbeitet. Oder beim FC Bayern kickt.

*Motivierender-Zwischen-Boost kicks in*

Dabei ist diese Stadt doch so schön. Die Lebensqualität ist trotz all der Geldangelegenheiten hoch, fast mein kompletter sozialer Kreis und mein Arbeitsplatz ist hier - deshalb Kopf hoch, ich finde was. 

Wenn man sich länger mit Immobilienanzeigen im Internet beschäftigt, wird man schnell feststellen, dass durchaus mal - ca. alle zwei Wochen - ein Objekt dabei ist, dass ganz gut passen könnte. Allerdings ist die Abschmetterfrequenz dabei unfassbar hoch. Also auf gut Deutsch: Die Chance überhaupt erstmal via Mail bis zu dem*der Anbieter*in durchzukommen, ist sowas von gering. Und wenn du durchkommen solltest, heißt das noch nicht, dass du die Bude besichtigen darfst. Und wenn du sie besichtigen dürftest, hieße das aber immer noch nicht, dass du sie bekommen würdest.
Am Ende entscheiden dann erfahrungsgemäß die meisten Vermieter*innen nach Bauchgefühl, das sich aus folgenden Komponenten zusammensetzt:
  1. Du, dein Charakter inkl. Hobbys, Beruf usw. (20%)
  2. Kapital bzw. Jahreseinkommen (80%).

Sind vielleicht einfach meine Ansprüche zu hoch?

Das Leben ist ja bekannterweise kein sogenanntes Wunschkonzert, aber nach sieben Jahren in WGs wäre eine eigene Wohnung schon toll. Und am besten auch kein 15qm Schuhkarton. Schön wäre eine Wohnung mit separatem Schlafzimmer. Dass zumindest Schlafen und Kochen eine olfaktorische Trennung erfahren. Ein Traum wäre eine Zwei-Zimmer Wohnung in der sich auch der ganze Homeoffice-Kram aus Platzgründen nicht zwingend genau vor meinem Bett befinden muss. Psychologisch hätte das sicher auch ein paar Vorteile, nicht jeden Tag da zu schlafen, wo man arbeitet und umgekehrt. Zusätzlicher Schnick Schnack, wie ein Balkon, eine Badewanne oder die Tatsache, dass es un-be-dingt eine Altbauwohnung sein muss, wären schöne Add-Ons, aber kein Muss.

Mal im Ernst: Sind diese Ansprüche zu krass? Ich denke darüber in letzter Zeit so oft nach, dass ich nicht mehr genau einschätzen kann, welche Standards "in Ordnung" wären und welche schon an Luxus grenzen.



Notiz am Rande: Habe auch letztens Eine Annonce für eine solchen Schuhkarton aber mit protzigen 18qm, in der Maxvorstadt gelesen - 680€ kalt. FÜR 18QM.



Naja, vielleicht sollte ich das mit der Lage nochmal überdenken

Je weiter raus, desto günstiger wird's. Muss es denn die Innenstadt sein? Beziehungsweise ein relativ zentrales Viertel? Mal angenommen - und das ist keine Übertreibung - zöge ich in so einen Schuhkarton mit 18qm an den Stadtrand, mit eher eingeschränkter Verkehrsanbindung und gut bürgerlichen, siedlungsartigem Vorstadtcharme, wäre es in der Tat möglich, für 400 bis 600 pro Monat warm unterzukommen.

Aber will ich das?

Als Typ in seinen Zwanzigern, der ja was erleben will,  weit weg von allen sozialen Kontakten und mit einem einstündigem Arbeitsweg.

Am Ende bleiben uns bei dieser Debatte ganz rational nur Zahlen, an denen wir die Realität vermeintlich ablesen können. Es ist also keine Frage des Wollens, sondern des Könnens: Kannst du's dir leisten, dann hast du's verdient, wenn nicht, ja dann wohl nicht. Oder so.

Das sind übrigens die gleichen Zahlen, die mir auf der anderen Seite auch faktisch belegen, dass ich für die monatliche Miete, mit der ich aktuell noch schmerzhaft die Wohnung meiner ehemaligen WG halte, zeitgleich in Berlin Kreuzberg ZWEI Altbauwohnungen à 40-50qm haben könnte. ZWEI. Ich will gar nicht wissen was das umgerechnet "in Leipzig" ist.



Schon alles versucht?

Naja, der Job, die lieben Freund*innen und so… das hatten wir schon. Zynisch betrachtet, könnten böse Zungen behaupten, ich hätte bei meiner Suche noch nicht alles versucht. Keine Sorge, ich bin da dran. Hab jetzt die ImmosocutApp auf Premium upgedatet, weil man da schneller mehr Angebote bekommt. Sauteuer ist der Bumms - 39€ im Monat. Pay to win quasi, Erfolg nicht garantiert. Wenn das nicht hilft, müssen die schmutzigen Tricks her: Annoncen in Zeitungen mit "Junger Radiomoderator sucht Bleibe" (cool, oder?), Aushänge bei mir im Viertel, vielleicht liest das ja wer oder schlichtweg jede Person, die ich kenne, egal wie gut oder schlecht wird gna-den-los angetackert: "Hey, na wie geht's, lange nicht mehr gesehen, Corona ist echt nervig und so, du hör mal….." Und dann hoffen, dass Vitamin B regelt.

Was mich zum eigentlichen Big Player im Game bringt: Glück.

Jetzt stellt euch mal vor, ich wäre kein berufstätiger flexibler Mittzwanziger, sondern, ein Paar oder eine Familie, die gerade sucht. Da braucht man dann unfassbares Mucho-Turbo-Mega-Glück.
Ich kann mir mittlerweile gar nicht vorstellen, dass Wohnen früher angeblich mal günstiger war. Mein Papa beschreibt den Umstand hier in München immer griesgrämig als "absurd". Ich hab ihm oft entgegnet:
"Wohnen ist hier zu einem Hobby geworden. Manche machen irgendeinen fancy Sport oder fahren im Sommer fett weg, hier steckst du's halt in 'ne Wohnung."
Zugegeben, ein Hobby, das ich mir zu gerne leisten wollen würde.

Sau traurig eigentlich, oder?

Wohnen ist also nicht mehr direkt an leben oder existieren geknüpft, sondern hat sich - zumindest hier - ein eigenes Level freigespielt.

Denken wir auch mal kurz an alle Menschen, die sich so eine intensive, lange Wohnungssuche mit Privilegien, wie ich sie ja dann doch habe, nicht leisten können. Kaum eine Chance vernünftig in dieser Stadt zu leben, oder? Dann doch lieber Klappe halten, froh sein für das was man bekommen hat und ab in den Schuhkarton.



Fazit

Je ermüdender die Suche wird, desto konservativer werde ich dabei. "Nimm das, was Geld spart. Scheiß auf Lage. Scheiß auf Platz. Sieh's als Mittel zum Zweck. Leg die Kohle lieber zur Seite." Mal gucken, wie lange das noch geht. Möglicherweise ergibt sich ja was, wie man immer so schön sagt oder vielleicht werde ich auch in einem halben Jahr in Berlin Kreuzberg in ZWEI Altbauwohnungen gleichzeitig wohnen. Müsste mich halt von meinem sozialen Umfeld trennen, aber hey, für die Arbeit wärs ja kein Problem. Dank Homeoffice sind meine Kolleg*innen eh alle nur noch abgehackte Webcam-Bilder mit miesem Ton. Und Platz hätte ich ja dann genug. Ihr wisst ja: Pandemie-Zeit ist schließlich Homeoffice-Zeit.

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