Es tut mir Leid, Püppi

Es tut mir Leid, Püppi

Meinung: Tiere sind keine Sportgeräte

Von  Anna Taylor
Unsere Autorin war totales Pferdemädchen und ist selbst viele Jahre lang geritten. Zurückblickend tut ihr letzteres richtig Leid.

Der große Traum vom Pferdemädchen

Das Haus, in dem ich meine frühe Kindheit verbracht habe, steht auf dem Land. Es grenzt direkt an ewig lange Felder und Wiesen, die erst im Horizont vom Wald gestoppt werden. Auf einer dieser Wiesen befindet sich ein kleiner Reitstall, in dem damals fünf Haflinger lebten. Als Kind war das einer meiner Lieblingsorte. Ich weiß noch, wie ich mich oft vor die Weide der Pferde gesetzt und sie einfach nur beobachtet habe, stundenlang. Manchmal habe ich auch mit ihnen geredet, ihnen zum Beispiel erzählt, wie es mir so geht. Mit der Zeit wuchs das Vertrauen der Tiere und sie kamen bereits zum Zaun, wenn sie mich in der Ferne schon anrennen sahen. Ich würde einfach mal behaupten, dass das irgendwie Freundschaft war. Eine Freundschaft, von der ich aber eigentlich mehr wollte - denn natürlich hätte ich meine vierbeinigen Freund*innen gerne von der Koppel geführt, mich auf eine*n von ihnen geschwungen um selig gen Sonnenuntergang zu galoppieren.

Allerdings sollte es noch ein paar Jahre dauern, bis ich selbst das Reiten anfangen würde. Auf einem anderen Hof, auf anderen Pferden. Nach ein paar Reitstunden an der Longe durfte ich die Zügel irgendwann selbst in die Hand nehmen - ich kann mich noch genau an den euphorischen Tagebucheintrag erinnern, den ich daraufhin geschrieben habe. Das war der große Traum - ich, ein Pferdemädchen. Jede freie Minute, die ich nicht selbst auf dem Hof verbracht habe, habe ich Pferdebücher studiert und mir überlegt, welches Pferd ich gerne einmal hätte. Natürlich habe ich keines von meinen Eltern bekommen. "Das kostet zu viel Geld", "Du musst dann jeden Tag für die nächsten Jahrzehnte zum Stall fahren", "Du kannst dann nicht mehr mit in den Urlaub kommen", etc. pp. Klar, heute verstehe ich das. Heute verstehe ich aber auch sonst einiges mehr. Zum Beispiel, wie kacke ich mich als Reiterin teilweise verhalten habe. 

Mehrere 100 Kilo kontrollieren

Eine der ersten Dinge, die man im Reitunterricht lernt, ist es, das Pferd aufzusatteln und aufzuzäumen. Der Sattel dient dazu, Menschen einen bequemeren, sichereren Sitz auf dem Pferderücken zu geben. Über das Zaumzeug wiederum wird das Pferd gelenkt. Ein wichtiger Bestandteil dieses Zaumzeugs ist die Trense - ein Metallstück, das in den Mund vom Pferd in den zahnfreien Raum zwischen Schneidezähnen und Backenzähnen geklemmt wird. Gerade unerfahrene und erst recht grobe Reiter*innen können mit dieser Trense einigen Schaden, beziehungsweise große Schmerzen beim Pferd anrichten, wenn sie damit beispielsweise ruppig bremsen. Sowieso müsste eine Trense genauestens auf das Pferd angepasst sein, damit sie nicht stört oder schmerzt.
Zusätzlich zum Zaumzeug gehören dann auch noch Gerten und Peitschen zur Standardausrüstung von Reiter*innen. Friederike Huth schreibt in einem Text für peta dazu:

"Im Pferdesport wird gerne gesagt, Gerten und Peitschen werden zur 'Hilfengebung' oder zur 'Kommunikation mit dem Pferd' verwendet – eine sanfte Umschreibung für einen Stock, der dafür gemacht wurde, die Tiere zu schlagen, zu treiben, zu erschrecken und zu verängstigen."

Dazu will ich gleich eine Geschichte erzählen - die von Püppi.

Püppi war eine sehr gemütliche und liebenswürdige Haflingerstute. Sie ließ sich gerne kraulen, kam gerne kuscheln und war überhaupt die Sanftmut in Person, äh Pferd. Leider musste Püppi auch für Reitstunden herhalten und wurde gerade Anfänger*innen zugeteilt. So hatte auch ich ein paar meiner ersten Reitstunden auf Püppi. Was ich lernen sollte: auch das gemächlichste Pferd zum Laufen zu bringen. Und hier schnürt sich mittlerweile mein Magen zu, weil mir heute klar ist, wie schlimm das war.
Ich kann mich noch genau erinnern, wie die Reitlehrerin mir schon vor der Stunde die Gerte in die Hand gedrückt hat. "Die wirst du definitiv brauchen bei der Püppi". Als wir dann vom Schritt in den Trab wechseln sollten und Püppi erstmal nicht reagierte, bekam ich den ersten Befehl, die Gerte zu benutzen. Erstmal ganz sanft, ich hab mich nicht getraut. "Na, das musst du schon fester machen!" Also hab ich es dezent fester versucht. "Jetzt hab dich nicht so, so spürt die das doch gar nicht!", hörte ich die Lehrerin noch rufen, da war sie aber schon in zügigem Schritt auf dem Weg zu uns, nahm mir die Gerte aus der Hand, erhob sie und schlug einmal richtig fest auf den Hintern. Püppi hat einen Satz gemacht und anstatt nur zu Traben ist sie gleich losgaloppiert. Ich konnte das Zucken ihres Schenkels richtig spüren, ihr erschreckter Hopser nach vorne ließ mich fast aus dem Sattel fallen. Und dann rannte sie. "Ja schau an, geht doch! So läuft das! Jetzt lass sie nicht wieder langsamer werden, du musst mit den Füßen arbeiten, damit sie weiter läuft!" Mit den Füßen arbeiten - das heißt so viel wie: mit den eigenen Fußhacken in die Seiten des Pferdes impulsartig drücken. Und so habe ich das gemacht. So habe ich reiten gelernt. Weil mir gesagt wurde, dass das so geht. Dass das völlig normal ist. Und vor allem: 

"DaS tUt DeNeN dOcH gAr NiChT wEh"

Es ist mir egal, wenn jetzt irgendwer mit irgendeiner Aussage à la "Pferde spüren diese Gertenschläge überhaupt nicht so, das tut denen nicht weh" daher kommt. Wirklich - scheiß egal ist mir das. Es geht mir allein schon um den Gedanken, mit einem Akt der Gewalt (nicht jede Form von Gewalt drückt sich unbedingt mit physischem Schmerz aus) einem anderen Lebewesen den persönlichen Willen aufzuzwingen. Ich meine: Warum soll das Pferd in der Geschwindigkeit laufen, die du jetzt geil findest? Warum soll ein Pferd überhaupt auf Kommandos von kleinen Pimpfen wie uns Menschen hören? Mir kommt nichts anderes in den Sinn als der Grund, dass Menschen es einfach toll finden, andere zu kontrollieren und sich damit überlegen zu fühlen. Und das finde ich ist eine richtig beschissene Eigenschaft und definitiv kein Merkmal von Freundschaft. Und genau das sollte die Basis der Beziehung zwischen Tier und Mensch sein. Kein bescheuerter sportlicher Vorwand. So bin ich der festen Meinung:

Tiere sind keine Sportgeräte!

Komm, ich bin eben auch viele Jahre geritten. Ich weiß, wie groß, beziehungsweise klein der menschliche sportliche Beitrag beim Reiten ist (wenn du nicht gerade Hunderte Kilometer im Leichttrab verbringst (für Laien: da steht man auf und ab)). Das Anspruchsvolle beim Reiten ist reine Kopfsache und großes Einfühlvermögen. Du musst dich auf das Lebewesen unter dir einlassen. Musst ihm vertrauen und darfst es nicht nervös machen. Pferde sind unglaublich sensible Tiere, die negative Emotionen spüren und sich davon leiten lassen. Das ist natürlich auch anstrengend, aber ich finde unter der Prämisse, dass man zum Reiten kein "Gerät" benutzt, sondern es sich um ein Lebewesen handelt, sollte man die Aktivität nicht als Wettkampfsport behandeln, sondern als das, was es ist: eine Beziehung. Wer eher auf Gehirnsport steht, könnte sich also genauso gut Schach hingeben und da ein paar Wettkämpfe meistern, statt ein Pferd zu irgendwelchen stressigen Veranstaltungen zu karren.

Eine respektvolle Beziehung zwischen Mensch und Pferd

"dArF iCh DaNn JeTzT NiChT mEhR rEiTeN oDeR wAs?"

Bevor ich überhaupt angefangen hab zu schreiben, konnte ich das Echo dieser Frage schon in meinem Hirn brummen hören. Es geht mir nicht darum, allen Menschen auf der ganzen Welt verbieten zu wollen, nie mehr zu reiten. Es geht mir darum einmal zu reflektieren, wie wir andere Lebewesen aus welchen Gründen behandeln und ob es nicht auch anders - respektvoller - geht. Das tut es nämlich.

Ein bestes Beispiel für eine wirklich freundschaftliche Beziehung zwischen Pferd und Mensch liefert Anne Meinert.
Auf dem Instagram-Kanal @pferdbestimmt zeigt sie, wie sie auf einer respektvollen Ebene mit ihrem Pferd umgeht, ihm reichlich Autonomie gibt, aufmerksam auf die Bedürfnisse achtet und es mit bestimmten Spielen körperlich und geistig fördert. 



Das ist so schön anzuschauen, dass ich schon das ein oder andere mal geheult hab, weil ich von einem ihrer Videos zu gerührt war.
Pferde sind so tolle, sensible, liebe Wesen. Die allermeisten Lebewesen sind so. Sie verdienen alle Respekt. Ich würde mir so wünschen, dass Menschen den Drang haben, wirkliche Freundschaften zu Tieren aufbauen, anstatt sie nur kontrollieren zu wollen.

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