Muss sich Musik anpassen?

Muss sich Musik anpassen?

Wenn umstrittene Zeilen aus Songs gestrichen werden

Wenn Musiker*innen die Texte ihrer Songs ändern, kann das verschiedene Gründe haben. Aber sollten sie einen Song umändern, nur weil sie ihn heute anders schreiben würden?

Sich über Hitzerekorde freuen, krasse Beleidigungen verwenden oder ganz unverblümt das Thema Date Rape besingen - was davon ist heute noch in Ordnung?

Sollten problematische Lyrics angepasst werden?

Wann ist es gerechtfertigt oder vielleicht sogar notwendig, Songtexte zu ändern? Wir haben uns ein paar Beispiele der letzten Jahrzehnte genauer angeschaut:



Zugunsten des Klimaschutzes

Manchmal entschließen sich Künstler*innen ihre Texte aufgrund von gesellschaftlichen Entwicklungen zu ändern - so auch 2Raumwohnung. 2007 landete das Berliner Duo mit der Single "36 Grad" DEN Sommerhit des Jahres - klar, Hitze abfeiern war damals ja auch noch ohne fiese Hintergedanken möglich. Die ursprünglichen Zeilen des Refrains lauteten:

"36 Grad, und es wird noch heißer,  Mach den Beat nie wieder leiser.
36 Grad, kein Ventilator, das Leben kommt mir gar nicht hart vor."

In Zeiten von Klimawandel und Fridays For Future, klingt das dann doch etwas zynisch. Um stattdessen auf den Ernst der Lage in der Jetztzeit aufmerksam zu machen, änderten 2Raumwohnung ihren Songtext:

"36 Grad, es wird immer heißer, unser Beat wird nie mehr leiser.
Nur ein halbes Grad noch bis zur Katastrophe, die Welt singt schon die letzte Strophe."



Homophobe Zeilen

Im Song "Money For Nothing" (1985) von den Dire Straits kommt in einer Strophe mehrfach das Wort "faggot" vor:

"See the little faggot with the earring and the makeup, yeah buddy thats his own hair. 
That little faggot got his own jet airplane, that little faggot hes a millionaire."

Immer wieder geriet der Song dadurch in die Kritik. Mittlerweile wird "faggot" live durch Wörter wie "queenie", "momma" und "trucker" ersetzt. Auf dem gleichnamigen Best Of Album der Dire Straits wurde die Strophe außerdem komplett heraus geschnitten.





Frauenrechte und #metoo

Gerade bei alten Klassikern aus den 50ern ist es nicht verwunderlich, dass einige Formulierungen einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Für das Cover vom Weihnachtssong "Baby It’s Cold Outside" haben John Legend und Kelly Clarkson die Lyrics deswegen umgeschrieben. 

Dadurch gaben sie dem Song aber eine ganz andere Message: Anstatt - wie im Original - den weiblichen Part nach einem gemeinsamen Abend am Gehen zu hindern, will der männliche Part in der neuen Version sogar noch ein Taxi für die Frau rufen und sie bloß zu nichts zwingen. Die Reaktionen zu dieser neuen Interpretation waren allerdings eher gemischt.




Gewaltverherrlichende Texte

1962 veröffentlichten The Crystals den Song "He Hit Me (And It Felt Like a Kiss)". Inspiriert wurde das Lied durch eine ähnliche Aussage der Sängerin Little Eva, die von ihrem Freund geschlagen wurde. Lana Del Rey verwendete den Titel in einer Zeile in ihrem Song "Ultraviolence". Die Anspielung auf den Song von The Crystals bereut sie mittlerweile allerdings und singt bei Live-Auftritten oft etwas anderes, beispielsweise "he hurt me and it fell like true love".

Ein ganz aktuelles Beispiel ist der Song "Das Boot ist voll" von egoKünstler Faber. Besonders der Refrain sorgte bei Veröffentlichung letzten Sommer für einen Mini-Shitstorm im Netz.

"Geh auf die Knie, wenn ich dir mein' Schwanz zeig'Nimm ihn in den Volksmund, blau und reinBesorgter Bürger, ja, ich besorg's dir auch gleich."

"Vergewaltigungsphantasien gegen rechts? Alter!" - kommentierte Musikjournalist Linus Volkmann die Songzeile, für die Faber sich kurz darauf entschuldigte und eine neue Version von dem Song rausbrachte:




Sollten Songtexte mit der Zeit angepasst werden?

Ist es wirklich notwendig, kontroverse Liedzeilen mit einem sich wandelnden Weltbild zu ändern? Genau dieser Frage musste sich auch egoKünstler Nick Cave auf seiner Webseite stellen. Als er zu dem Satz "a fag in a whalebone corset dragging his dick across my cheek" aus seinem Song "Papa won't leave you, Henry" gefragt wird, wird seine Meinung zu diesem Thema schnell klar:

"[…] what songwriter could have predicted thirty years ago that the future would lose its sense of humour, its sense of playfulness, its sense of context, nuance and irony, and fall into the hands of a perpetually pissed off coterie of pearl-clutchers? How were we to know?"

Klar kann man an dieser Stelle das Argument von Kunstfreiheit anbringen. Aber, mal ehrlich, Homophobie war schon in den 90ern nicht wirklich cool, heute geht sie aber eindeutig gar nicht mehr.

Sollte man also als Songwriter*in solche Passagen nicht ändern? Nick Cave meint, dass so die Seele des ganzen Songs verloren ginge. Die Zeile gehöre zu dem Song und hätte damit genau so ein Recht zu existieren. Der Song als Kunstwerk könne ja nichts für den problematischen Text, kritisieren sollte man nach Nick Cave daher besser den Verfasser des Lieds - also Nick Cave.





An der Frage, ob Lyrics im Wandel der Zeit angepasst werden sollten, scheiden sich weiter die Geister. Ist es im Jahr 2020 noch okay "Schwuchtel" zu singen, nur weil der Text schon über 30 Jahre alt ist? Was denkst du darüber? Erzähl's uns per Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder per Whatsapp an die 089 / 360 550 460.

Design ❤ Agentur zwetschke