Send Me SFMOMA

Send Me SFMOMA

Kunstwerk on demand

Pling. Plötzlich ist Andy Warhol auf dem Handy. Derzeit macht das San Francisco Museum of Modern Art genau das: sie schicken per SMS Kunst auf die Smartphones dieser Welt. Wir sind uns nicht einig, ob wir das feiern oder die Aktion skeptisch beäugen sollen.


Im Keller des San Francisco Museum Of Modern Art (SFMOMA) hängt haufenweise fancy Kunst. Noch mehr liegt allerdings im Keller rum. So viel sogar, dass kein Mensch alles zu Gesicht bekäme, selbst wenn er im Museum sein Tipi aufschlagen und dort wohnen würde. Würden doch einmal alle 34.678 Kunstwerke in eine lange Galerie gehängt, müsste man über elf Kilometer gehen, um auf jedes zumindest einen kurzen Blick zu werfen.

Deshalb hat das Museum jetzt „Send Me SFMOMA“ ins Leben gerufen. Das ist eine Art Newsletter-Dienst per SMS: Man schickt eine Nachricht mit „Send me ____“ – wobei die Lücke mit einem Stichwort oder einem Emoji gefüllt werden kann und bekommt als Antwort ein passendes Kunstwerk mitsamt Bildunterschrift zugesendet.



Das Museum möchte damit einerseits natürlich die Bilder zugänglich machen, die im Verborgenen schlummern. Außerdem möchte es den Leuten eine persönlichere und verständlichere Erfahrung von Kunst ermöglichen.

In a world oversaturated with information, we asked ourselves: how can we generate personal connections between a diverse cross section of people and the artworks in our collection?
Sophia: Binge-Arting
Newsletter sind an sich eine feine Sache. Man profitiert davon, dass man einen Teil der Vorselektion Leuten überlässt, denen man zutraut, dass sie Inhalte bereitstellen, die einen persönlich interessieren. Da geht es um relevante Informationen, gerne auch nackt und digital, nicht um Ästhetik oder sinnliche Erfahrung. Viel lesen ist gut, das Richtige lesen ist gut. Nicht so wichtig, ob auf Papier oder Bildschirm. Das funktioniert auch in anderen Bereichen: Sportübungen zu Hause machen statt im Verein – Zweck erfüllt. Gemüse nach Hause liefern lassen statt in den Biomarkt zu fahren – Zweck erfüllt. Aber Kunstwerke auf den Handybildschirm – wozu denn das?

Ich verstehe Kunst so: Jemand findet eine Ausdrucksform für seine Gedanken, und er wählt ein bestimmtes Format, eine bestimmte Textur. Ein Kurator im Museum wiederum wählt mit Bedacht Werke aus, inszeniert sie in einer bestimmten Reihenfolge, sorgt für eine Beleuchtung, die er aufgrund seines Erfahrungsschatzes, der so viel größer ist als meiner, für die beste hält. Davon profitiere ich im Museum: Von der sorgfältigen Aufbereitung durch Menschen, die sich in einer Sache besser auskennen als ich. Im Museum. Vor dem Bild.

Jennifer L. Roberts, Harvard-Professorin für Kunstgeschichte und Architektur, erzählt in „The Power of Patience“, wie sie ihre Studenten auffordert, sich noch vor der Recherche zu einer großen Hausarbeit über ein Gemälde geschlagene drei Stunden davorzusetzen und aufzuschreiben, was ihnen auffällt. Bei ihrem eigenen Experiment mit dem Gemälde „A Boy with a Flying Squirrel“ fiel ihr nach neun Minuten auf, dass die Form des Ohrs genau der des Eichhörnchenbauchs entspricht. Nach 21 Minuten, dass die Finger der linken Hand genau die Breite des Glases abmessen; nach 45 Minuten, dass die Falten im Vorhang Kopien von Auge und Ohr des Jungen sind.

J S Copley - Boy with Squirrel

Zufall? Glaube nicht. Deshalb bleibe ich dabei: Lieber nur einmal im Jahr ins Museum. Auch mal eine halbe Stunde vor einem Bild sitzen. Auch mal ein Bild anschauen, dessen Thema, Titel oder Farbgebung mich nicht sofort anspricht. Das Filtern den Museumsleuten anvertrauen, mich nur der einen Sammlung widmen und den Rest im Keller des Museums vergammeln lassen, ohne einen Gedanken daran zu vergeuden. Dafür vielleicht für mich selbst ein, zwei neue Gedanken fassen.

Ein Kunstwerke-Newsletter kehrt den elementaren Wesenszug eines Museums ins Gegenteil. Tschüss Atmosphäre, tschüss Kontext, tschüss Original! Dass es dann noch ein Museum selbst ist, das dieses "Binge Arting" anbietet, ist doch paradox: Anstatt Besucher zum Ort von (vielleicht unerwarteter) Kunst herbeizulocken, gibt es die Werke der individuellen Laien-Filterbubble preis und animiert die eh schon museumsfaule Bevölkerung damit - Achtung, Worst-Case-Szenario - zu Verhaltens- und Denkweisen, die das Museum selbst auf lange Sicht obsolet machen.

Julian: Ist doch voll nice und so
Was wäre aber, wenn genau diese Aktion dazu führt, dass Leute ihre Kunstfilterblase verlassen und Lust darauf bekommen ins Museum zu gehen? Museen können besonders für junge Menschen abschreckende Orte sein. Man kennt sie von nicht enden wollenden Führungen von der letzten Klassenfahrt. Oder von verregneten Sonntagnachmittagen mit den Eltern, an denen man ins Museum gezwungen wurde. Das gibt dem Ort Museum nicht gerade eine gute Ausgangsposition.

Aber stellt euch vor, das Museum würde ab und an bei euch zu Hause vorbeischauen, nett klingeln und sagen: schön dich zu sehen, ich hab dir was mitgebracht! Und zwar etwas mitgebracht, von dem man vorher nicht weiß, was es ist. Eine echte Überraschung! Spannend, oder? Denn das ist gleich das nächste Problem klassischer Museen: Die Besucher können sich vorab informieren, wo welche Stilrichtung hängt, was sie in welchem Raum erwartet und wo ihr Lieblingskünstler auf sie wartet. Schließlich geht man ja gleich in das Museum, wo die Kunstrichtung hängt, die einem gefällt. Man stellt sich also eine Kunsttour nach den eigenen Vorlieben zusammen. Ich war noch nie in der alten Pinakothek, in den beiden anderen aber schon… ratet mal warum.
Diese Vorselektion findet bei den Handynachrichten nicht statt. Es kann passieren, dass man plötzlich ein Gemälde auf dem Bildschirm hat, das einem so gar nicht gefällt. Okay, dann klickt man es wahrscheinlich weg, aber immerhin hat man es einmal wahrgenommen. Man hat also bereits mehr Zeit mit dem Kunstwerk verbracht als man sonst wahrscheinlich jemals hätte. Man verlässt also die eigene Filterblase, die auch offline existiert.

Außerdem ist es auch ein tolles Konzept für ältere Menschen, die gerne würden, aber nicht mehr ins Museum gehen können. Kommt die Kunst eben nach Hause. Ein iPad oder ein Smartphone haben schließlich auch unter ihnen schon einige.

Die Aktion ermöglicht also einen neuen Zugang zur Kunst. Keine Frage: die Details, die man als Betrachter nur direkt vor dem Bild stehend wahrnimmt, kann man über das Handydisplay nur schwer wahrnehmen. Aber immer noch besser, als wäre das Bild überhaupt nicht wahrgenommen worden. Denn schließlich holt die Aktion viele Bilder aus den Archiven des MoMAs und rettet sie vor dem Vergessen. Man darf sich nämlich fragen: existieren die Bilder überhaupt richtig, wenn sie von niemanden betrachtet werden? Heisenberg lässt grüßen. Dann also lieber über das Handydisplay existieren, vor der Nichtgkeit retten und sich neues Publikum erschließen.

Bildquelle Titelbild: Facebook | SFMOMA San Francisco Museum Of Modern Art

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