"Eine militärische Spezialoperation" - so bezeichnet Russland seit Februar - seit Anfang an - den Angriff auf Ukraine und gibt dem Ganzen damit eine scheinbar andere Bedeutung. Sprache prägt also den Krieg, aber Krieg prägt auch unsere Sprache.

blog
22.11.2022
Wie Krieg unsere Sprache beeinflusst
Linguist Dominik Hetjens im Interview
-
Wie Krieg unsere Sprache beeinflusstLinguist Dominik Hetjens im Interview
Krieg verändert unseren Wortschatz
Durch den russischen Angriffskrieg in Ukraine ändert sich auch unsere Sprache. Das fängt zum Beispiel allein damit an, dass wir Worte finden müssen, um über den Krieg zu sprechen. Welche Worte sind die richtigen, wenn man über das Thema spricht? Dadurch, dass wir eine relativ lange Zeit des Friedens in Europa hatten, müssen wir erst wieder lernen, uns damit direkt auseinanderzusetzen, sagt Dominik. Das können zum einen ganz spezielle Begriffe sein, um die Situation zu beschreiben und die ganz offensichtlich zeigen, wie der Krieg auch Einzug in unsere Sprache hält:"Das ist offensichtlich bei diesen Formulierungen, die direkt mit dem Krieg zu tun haben. 'Militärische Spezialoperation' ist die Perspektive, die von Putin durchgesetzt werden soll auf den Konflikt. Aber wir haben natürlich auch die anderen Formulierungen, 'Angriffskrieg', 'Invasionskrieg' und so weiter." - Dominik Hetjens
Und auch die Folgen, die ein Krieg mit sich bringt, finden wieder Einzug in unseren Sprachgebrauch. Das Wort "Sondervermögen" war zum Beispiel in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren kaum in Texten im Netz zu finden - jetzt liest man davon ziemlich oft und auch die Suchanfragen danach gehen in die Höhe, sagt Dominik. Aber nicht nur der Wortschatz an sich ändert sich, um über den Krieg und seine Folgen zu sprechen. Auch beispielsweise der Einfluss, den geflüchtete Menschen aus Ukraine auf unsere Gesellschaft haben, spiegelt sich in der Sprache wieder. So setzen sich viele nun erstmals mit der ukrainischen Sprache auseinander und es gibt generell ein höheres Bewusstsein für den Sprachgebrauch bei diesem Thema.
"Und es gibt auch eine Debatte darüber, wie wir beispielsweise Städte in der Ukraine oder Gegenden, Regionen in der Ukraine benennen. Unsere traditionellen Wörter, die wir dafür haben aus dem Russischen, die über das Russische vermittelt sind. [...] Kyjiw zum Beispiel - schreiben wir das mit ji, schreiben wir das mit iw, iew... Und da sind jetzt viele Medien dazu übergegangen, in einem symbolischen Akt der Solidarisierung zu sagen, wir verzichten auf die, ich sag mal traditionellen Bezeichnungen, die aus dem Russischen kommen und nehmen die - im Übrigen in aller Regel sehr ähnlichen - Schreibweisen, wie sie aus der Ukraine stammen." - Dominik Hetjens
Gerade Medien drücken dadurch aus, ob sie sich mit einer bestimmten Seite solidarisieren. Bei der Schreibweise wird das nur bei genauerem Hinsehen deutlich, bei der Wahl bestimmter Begriffe hingegen ganz direkt:
"'Putins Krieg' wird oft verwendet von der Welt zum Beispiel, 'Invasionskrieg' gibt es oft, 'Angriffskrieg', 'Russlands Krieg' gibt es auch oft, um eben nicht 'Ukraine-Konflikt' zu sagen, weil damit irgendwie möglicherweise verbunden sein könnte, dass man der Ukraine dann auch die Schuld an dem Konflikt gibt, was ja eben nicht der Punkt ist." - Dominik Hetjens
Da stellt sich natürlich auch die Frage - gerade für Medien - gibt es überhaupt einen Weg über die Sprache neutral zu bleiben? Oder ist der Druck, sich durch bestimmte Begrifflichkeiten zu positionieren, doch zu hoch?
Sprache und Krieg
Auch in der Vergangenheit hatte Sprache natürlich einen besonderen Stellenwert, wenn es um Krieg ging - vor allem das Mittel der Propaganda. Und natürlich spielten, wie aktuell auch, bei zum Beispiel der Berichterstattung bestimmte Begriffe eine Rolle. Außerdem konnte Dominik in seiner Forschung auch feststellen, dass Sprache ein wichtiges Mittel war - eben auch für Individuen während der Weltkriege - um das Erlebte auszudrücken."Und da sehen wir dann auch, dass das [Sprache] benutzt wird, nicht nur als Ventil, um loszuwerden, was man erlebt, sondern auch um eine gewisse Form von Normalität herzustellen, Zivilleben herzustellen, in Kontakt zu treten mit den Menschen, mit denen man im eigentlich Nicht-Kriegsleben in Kontakt wäre." - Dominik Hetjens
Der Krieg im Netz
In der aktuellen Situation sehen wir laut Dominik gerade sowohl klassische, staatliche Propaganda, die wir bereits aus der Geschichte kennen und die vermehrt aus Russland kommt. Zum anderen aber auch Dinge, die jede*r direkt selbst bei Social Media teilt und so die Situation von vor Ort darstellt."Das ist natürlich eine Art und Weise über Krieg zu kommunizieren, die jetzt möglich ist, die vor 20 Jahren so nicht möglich war. " - Dominik Hetjens
Das fast alle mittels Handy heute alles dokumentieren und mit anderen teilen können, hat sich auch auf die Propaganda ausgewirkt, sagt Dominik. Einerseits gibt es weiterhin die klassische Propaganda, bei der in großen Publikationen zum Beispiel bestimmte Bezeichnungen durchgesetzt werden sollen (zum Beispiel "militärische Spezialoperation"). Andererseits können Menschen mittels Handykamera direkt dagegenhalten und die Realität kommunizieren. Dadurch, dass viele Menschen eben auch einen einfachen Zugang zu den sozialen Medien haben, können diese aber wiederum auch als eine Art Propaganda genutzt werden. Zelensky arbeitet beispielsweise von Anfang an stark mit Bildsprache, ist in seinen Videos mittendrin und auch in Gesprächen mit Journalist*innen - wenn auch nur über eine Videokamera - sehr nah. Er zeigt sich mitten im Geschehen und demonstriert damit, dass er nicht vor hat, aufzugeben.
Vom Krieg in die Sprache in den Alltag
Kennst du die Redewendung 0815? Also wenn etwas total durchschnittlich und gewöhnlich ist? Die Bezeichnung stammt tatsächlich aus dem Krieg, vom Namen für ein Maschinengewehr, um genauer zu sein. Davon gibt es in unserer Sprache sehr viele: Bei der Stange halten, auf Vordermann bringen, am Riemen reißen - alles Metaphern, die ursprünglich aus dem Krieg und dem Militär stammen. Einige dieser Bezeichnungen aus unserer Alltagssprache stammen noch aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, andere aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, einige sind sehr offensichtlich, bei anderen fällt uns gar nicht so sehr auf, dass das irgendwas mit dem Militär zu tun hat. In jedem Fall zeigen solche Bezeichnungen aber, welchen Einfluss Konflikte auch auf unsere Sprache haben. Ist es falsch, solche historisch aufgeladenen Begriffe heute noch zu verwenden? In den meisten Fällen, wie beim Beispiel 0815, denkt heute eben keine*r mehr an die ursprüngliche Herkunft dieser Metapher und wir verbinden sie auch nicht mehr mit Krieg, weswegen sie zum Beispiel in Alltagsgesprächen nicht zu Konflikten führt. Dominik meint deshalb auch, dass man hier abwägen muss, ob der Ursprung bestimmter Bezeichnungen, die Eingang in die Alltagssprache gefunden haben, nicht überschätzt wird."Man darf da vielleicht auch Etymologie - also Wortherkunft - und Effekt nicht verwechseln." - Dominik Hetjens
Dennoch merkt Dominik auch an, dass bestimmte Formulierungen für bestimmte Personen durchaus problematisch sein können, wenn man zum Beispiel an Bezeichnungen denkt, die aus dem Nationalsozialismus übernommen wurden. In diesem Fall sollte es weniger darum gehen, ob die Person, die diese Redewendung verwendet hat, ihren Ursprung einfach nicht kannte, sondern viel mehr darum, dass in der Gesellschaft darüber diskutiert werden muss, ob man derartige Bezeichnungen überhaupt noch nutzen sollte.
"Also dieses 'Jedem das Seine' wurde jetzt diskutiert, da ist, glaube ich, die endgültige Entscheidung jetzt, dass das da bleibt beispielsweise. Aber nicht weil man gesagt hat, es gibt kein belastetes Vokabular, sondern weil man gesagt hat, das ist nicht in der Art belastet, dass wir es jetzt ändern müssten, weil das ein alter römischer Rechtsspruch ist und so weiter und so fort. Aber dass es prinzipiell Dinge gibt, die man in den Kontexten vermeiden könnte - auch weil es für Opfergruppen beispielsweise einfach eine Schwierigkeit gibt, wenn man das hört, wenn man damit konfrontiert wird." - Dominik Hetjens
Anderseits kann man hier auch direkt ein Zeichen setzen, wenn man sich ganz bewusst gegen solche Bezeichnungen ausspricht. Statt beim Namensalphabet für N Nordpol und für S Siegfried zu verwenden (zwei Begriffe, die von den Nationalsozialist*innen eingeführt wurden), könnte man beispielsweise bewusst zu den ursprünglichen Namen zurückkehren: N wie Nathan und S wie Samuel. Dominik sagt aber auch, dass man das bei verschiedenen Bezeichnungen, die historisch und gesellschaftlich belastet sind, von Fall zu Fall unterscheiden muss. Er würde niemandem pauschal böse Absichten unterstellen, nur weil er oder sie beispielsweise Redewendungen wie 0815 verwendet. Außerdem wünscht er sich einen offeneren Diskurs, wenn es um solche Themen gibt.
In jedem Fall konnte Dominik feststellen, dass die aktuellen Konflikte ein starkes Sprachbewusstsein fördern.
Achtest du bewusst auf deine Sprache? Versuchst du Worte und Bezeichnungen zu vermeiden, die historisch negativ belastet sind? Erzähls uns via Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder per WhatsApp: 089 / 360 550 460.
Artikel teilen: