Wie steht es um den deutschen Arbeitsmarkt?

Wie steht es um den deutschen Arbeitsmarkt?

Das komplette Interview aus egoFM Reflex mit Johannes Seebauer

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
An welchen Stellen entwickeln sich die Arbeitsmarktbedingungen zum Positiven und wo gibt es trotzdem noch große Ungleichheiten? Johannes Seebauer liefert einen Überblick:


Veränderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt 

Johannes Seebauer forscht am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zu den Themen Arbeitsmarktökonomie, Ungleichheit und Bildung in Deutschland und hat mit egoFM Gloria über Veränderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt gesprochen. Für seine Forschung arbeitet er mithilfe des sozio-ökonomischen Panels, das Daten aus einer jährlichen Befragung von etwa 30.000 Menschen in Deutschland erhebt.
  • Johannes Seebauer im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Fortschritt und Veränderung

Johannes Seebauer bewertet die Entwicklungen der Arbeitsbedingungen in Deutschland grundsätzlich positiv: Die Arbeitslosenquote hat sich seit Anfang der 2000er-Jahre etwa halbiert, der Mindestlohn hat dafür gesorgt, dass in den unteren Lohnsegmenten ein starkes Wachstum stattgefunden hat und es gibt inzwischen eine Frauenquote in Aufsichtsräten deutscher Unternehmen. Das sind definitiv Schritte in die richtige Richtung, nichtsdestotrotz müssen die Entwicklungen differenziert betrachtet werden.

Ab dem 1. Oktober wird der Mindestlohn auf 12 Euro die Stunde angehoben.

Das wird die Lohnungleichheit im unteren Einkommensbereich weiter minimieren. Allerdings können bei höheren Löhnen auch Transferleistungen wie Hartz IV, Sozialhilfe, Ausbildungshilfen, Elterngeld, Kindergeld oder Wohngeld gekürzt werden. Außerdem könnten Arbeitszeiten reduziert werden, damit die Grenze von 450 Euro im Monat (Minijob-Basis) nicht überschritten wird. Deswegen merkt Johannes Seebauer an, dass ein höherer Brutto-Stundenlohn nicht zwangsläufig auch zu einem höheren Netto-Einkommen führt. Und auch mit Blick auf die Geschlechterungleichheit sind wir noch nicht am Ziel angelangt.

Seit August 2021 gelten neue Vorgaben zur Frauenquote in den Vorstands- und Aufsichtsgremien deutscher Unternehmen.

Daten aus den skandinavischen Ländern zeigen bereits, dass das nachweislich dazu führt, dass in diesen Unternehmen Frauen vermehrt in Führungspositionen sind. Das ist also auf jeden Fall ein Fortschritt. Von Geschlechtergleichheit auf dem Arbeitsmarkt sind wir allerdings noch weit entfernt und schneiden auch im europäischen Vergleich schlecht ab: In Deutschland liegt der Gender-Pay-Gap in den letzten Jahren relativ konstant bei ungefähr 20 Prozent. Die Nachbarländer Tschechien und Österreich schneiden ähnlich schlecht ab, in Polen beispielsweise liegt der Gender-Pay-Gap allerdings bei ungefähr neun Prozent und in Luxemburg sogar bei unter zwei Prozent. Hier die Zahlen aus dem Jahr 2020:

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Bei der Interpretation dieser Zahlen muss allerdings berücksichtigt werden, dass beispielsweise in Polen die Erwerbsquote von Frauen relativ niedrig ist. Das heißt, es arbeiten dort vor allem die Frauen, die auch ein hohes Lohnpotenzial haben und die anderen eher nicht.
"Das führt zwar zu einem niedrigeren Gender-Pay-Gap, ist aber nicht notwendigerweise wünschenswert. Also sollten wir Deutschland vor allem mit Ländern mit ähnlicher Erwerbsquote vergleichen. Aber wenn wir das tun, schneiden wir immer noch schlecht ab, wenn wir uns beispielsweise mit den skandinavischen Ländern oder auch der Niederlande vergleichen." - Johannes Seebauer

Dass die skandinavischen Länder besser abschneiden, liegt mitunter daran, dass dort die Sorge- und Erwerbsarbeit deutlich egalitärer aufgeteilt und außerdem eine flächendeckendere Kinderbetreuung gegeben ist. Beides sind Punkte, an denen auch die Politik in Deutschland ansetzen kann und muss, sagt Johannes Seebauer. Außerdem haben wir in Deutschland immer noch das sogenannte Ehegattensplitting, das bedeutet: Der oder die Partner*in in einer Ehe, der*die weniger verdient - und das sind häufig Frauen - wird deutlich höher besteuert, was dazu führt, dass sich das Arbeiten für diese Person weniger lohnt. Auch das kann eine Stellschraube bei der Bekämpfung des Gender-Pay-Gaps sein. 

Aber nicht nur Geschlechterungleichheit bestimmt den Arbeitsmarkt immer noch

Auch Personen aus anderen marginalisierten Gruppen, beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund und/oder aus der LGBTQIA+-Community, werden benachteiligt. Deswegen wird immer wieder auch eine Diversity Quote diskutiert.

Johannes Seebauer sieht darin aber nicht unbedingt die Lösung. Die Frauenquote ist ein Instrument, um der jahrhundertelangen strukturellen Benachteiligung von Frauen entgegenzuwirken, umso kleinteiliger eine Quote allerdings wird, desto schwieriger wird es auch, diese umzusetzen. Bei einer Diversity Quote sieht der Arbeitsmarktökonom außerdem das Problem, dass verschiedene marginalisierte Gruppen gegeneinander ausgespielt und aufgewogen werden könnten und zudem im vornherein Informationen (zum Beispiel über die eigene sexuelle Orientierung) potenziellen Arbeitgeber*innen offengelegt werden müsste. Langfristig wird uns deswegen weniger eine Diversity Quote, sondern ein gesellschaftlicher Wandel dabei helfen, allen Menschen die selben Chancen zu schaffen, schätzt Johannes Seebauer ein.

Grundsätzlich ist außerdem auch klar, dass Unternehmen ein Eigeninteresse daran haben sollten, Ungleichheiten auszuräumen, denn:
"Wenn Unternehmen trotz besserer Eignung auf die Einstellung einer Person mit bestimmten Charakteristika - [zum Beispiel] mit bestimmtem Geschlecht oder mit bestimmter Hautfarbe - verzichten, schadet es sich letztlich natürlich selber." - Johannes Seebauer

Auswirkungen der Corona-Pandemie 

Auch mit den Auswirkungen der Corona Pandemie hat sich Johannes Seebauer bereits beschäftigt: Wenig überraschend sind vor allem Selbstständige von den Einschränkungen der Pandemie und deren Folgen betroffen und haben sehr hohe Umsatz- und Einkommensverluste erlitten. Und auch dabei gibt es Geschlechterunterschiede: 63 Prozent der Frauen berichten von Einkommensverlusten, bei Männern sind es 47 Prozent, erzählt er. Dieser Unterschied lässt sich vor allem damit erklären, dass die Pandemie Branchen wie die Gastro, in denen überproportional viele Frauen arbeiten, besonders stark getroffen hat. 

Auch auf die psychische Gesundheit von selbstständigen Menschen hatte und hat die Pandemie Auswirkungen und auch dort ist ein Gender-Gap zu beobachten. Das liegt zum einen daran, dass Einkommensverluste natürlich auch direkte Auswirkungen auf die Psyche haben können, Johannes Seebauer nennt aber noch einen weiteren Grund:
"Es ist nach wie vor so, [...] dass in Deutschland überwiegend Frauen einen Großteil der Betreuungsaufgaben übernehmen und bei selbstständigen Frauen [mit Kindern] führt das dazu, dass durch die Schließung von Kitas und durch die Schließung von Schulen hier eine enorme Doppelbelastung entsteht. Das heißt, sie müssen sich um die Kinder kümmern, gleichzeitig aber noch ihr Unternehmen führen und das hat sich, besonders bei dieser Gruppe [der selbstständigen Frauen], zu einer höheren Frequenz von Depressions- und Angstsymptomen ausgewirkt." - Johannes Seebauer

In manchen Bereichen hat die Pandemie allerdings auch zu mehr Flexibilität in der Arbeitswelt geführt, was wiederum in Zukunft auch der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zugute kommen kann, sagt Arbeitsökonom Johannes Seebauer abschließend.

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Johannes Seebauer

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