Arctic Monkeys: The Car

Arctic Monkeys: The Car

Das Album der Woche

Von  Vitus Aumann
Die Monkeys sind endgültig erwachsen geworden.

Okay, eines vorweg: Bitte keine falschen Hoffnungen machen.

Denn nein: Das hier ist kein zweiter Teil von Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not. Und auch nicht von Favourite Worst Nightmare. Sogar AM klingt mittlerweile schon fast nach ferner Vergangenheit.

Die Arctic Monkeys haben die "Dancing Shoes" nicht nur ausgezogen – sie haben sie ziemlich weit unten im Schuhschrank verräumt.

Diese Erkenntnis kann natürlich wehtun, denn den Monkeys hätte man wahrscheinlich sogar eine "Wir machen jedes Mal dasselbe"-Karriere verziehen. Aber das war für Sheffields Goldjungen halt nie eine Option. Und wenn man sich vom ruhigen Schock mal erholt hat, kann man der neuen Platte The Car unglaublich viel abgewinnen.

 

Erwachsene Affen.

Natürlich schlagen sich die Arctic Monkeys mittlerweile auch mit dem Schatten vergangener Zeiten herum. Und eigentlich ist das ziemlich unfair – wer will schon ständig mit den Sachen verglichen werden, die man im komplett anderen Lebensabschnitt abgeliefert hat? Aber beim Hören ist es schon schwierig, die Erinnerungen auszublenden.

Früher haben die Openersongs auf Arctic Monkeys Platten keine Zeit vergeudet: "Brianstorm" warf uns damals ohne Rücksicht auf Verluste mitten ins Getümmel, der Stampfer und das Riff am Anfang von "Do I Wanna Know?" sind jetzt schon legendär und sogar "Star Treatment" von der letzten Platte startete mit einem Augenzwinkern in Richtung The Strokes. The Car ist da nicht so eindeutig – aber während man noch den früheren Songs hinterher trauert, schleicht sich "There’d Better Be A Mirrorball" schon unter die Gänsehaut. Das ist so ein Song, der die ganze Welt schwarz-weiß färben könnte, wenn er denn Lust drauf hätte. Auf unterschwellige Art und Weise macht er klar:

Dieses Auto läuft ohne Benzin – dafür mit viel Klavier, Streichern, subtilen Drums und einem Alex Turner, der einfach nur unverschämt gut singt.


Selbstbewusst, mit leichtem Augenzwinkern und doch immer emotional trägt der Sänger durch jeden einzelnen Song. Da macht es fast gar nichts aus, dass man meistens wirklich keine Ahnung hat, wovon er eigentlich singt. Oft ist von Partys die Rede – keine wilden Sausen im Indiekeller, sondern eher gehobene Soireen, bei denen man mit Sekt in der Ecke steht und die anderen Besucher*innen belächelt. In "I Ain’t Quite Where I Think I Am" wird da zum Beispiel schon skeptisch auf das Securitysystem geschielt.

Aber immer wenn man denkt, man wüsste, von was Alex Turner grade singt, macht dieser einen eleganten Schlenker – und hat plötzlich ein ganz anderes Thema.


So kann man sich nie ganz sicher sein, um was es eigentlich grade geht: Läuft das Leben in die falsche Richtung? Geht die scheinbar heile Beziehung in die Brüche? Oder ist einfach nur die Party komisch? Die Frage beantwortet der Song nie – aber er klingt so verflucht charmant, dass man sich halt immer gerne wieder fragt.

 

Gar nicht mal so horrible.

Gut möglich also, dass man den Arctic Monkeys den immer noch andauernden Stilbruch schon verziehen hat. Alex Turner lässt in "Sculptures of Anything Goes" aber trotzdem noch einen Seitenhieb raus:
"Puncturing your bubble of relatability with your horrible new sound / Baby, those mixed messages ain't what they used to be when you said them out loud"

Schrecklich klingen die Monkeys natürlich zu keinem Augenblick, aber für diesen Song lassen es die Shefflieder tatsächlich ziemlich gruselig klingen: Dumpf wabernde Trommelschläge und geisterhafte Orgelklänge führen zu einer Streicherexplosion – schauderhaft, wie gut das klingt. Und hier zeigt sich dann doch der große Unterschied zum Vorgängeralbum: Die Arctic Monkeys sind wieder eine Band. Für Tranquility Base Hotel + Casino mussten sich Turners Bandkollegen noch recht überrumpelt auf die neue Soundvision einlassen – auf The Car wirken sie wieder so harmonisch eingespielt, wie wir sie lieben gelernt haben.

Allein das macht die neue Platte eben doch wieder hörenswert. Man muss sich zwar eine gute Weile auf die neue Gedankenwelt der Band einlassen, aber wenn man sich mal darin verloren hat, will man gar nicht mehr daraus auftauchen.

Klar kann es wehtun, wenn die alte Lieblingsband plötzlich erwachsen ist – aber immerhin altert kaum jemand so perfekt durchgestylt wie die Arctic Monkeys.





Tracklist: Arctic Monkeys - The Car

  1. There'd Better Be A Mirrorball
  2. I Ain't Quite Where I Think I Am
  3. Sculptures Of Anything Goes
  4. Jet Skis On The Moat
  5. Body Paint
  6. The Car
  7. Big Ideas
  8. Hello You
  9. Mr Schwartz
  10. Perfect Sense

The Car von den Arctic Monkeys wurde am 21. Oktober 2022 via Domino Recordings veröffentlicht.

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