Gorillaz: Cracker Island

Gorillaz: Cracker Island

Das Album der Woche

Von  Anna Taylor
Mit ihrem achten Studioalbum haben sich die Gorillaz wieder mal selbst übertroffen.

Was müssen Musiker*innen heute alles leisten?

Angefangen überhaupt mit der Idee von Damon Albarn und Jamie Hewlett, Ende der 90er mit den Gorillaz eine virtuelle Band zu erschaffen, ist der Vorsprung an Zeitgeist bis heute kaum geringer geworden. Denn egal ob Live-Show-Hologramme, Augmented-Reality-Musikvideos, NFTs oder sonstiger Next Level Shit: Die Gorillaz sind ein Gesamtkunstwerk, bei dem alle neuen technischen Möglichkeiten direkt mal ausprobiert werden. Sicherlich kein Maßstab für junge Bands, aber dennoch ein Sinnbild für den modernen Musikmarkt, der eigentlich nicht mehr durch den reinen Verkauf von Musik funktioniert. Du hast neue Songs? Toll! Aber einfach nicht genug. Die Gorillaz führen diese Tendenz mit all dem Tamtam um ihre Musik fast schon ad absurdum.


Entspricht der Klang von Cracker Island diesen hohen Marketing-Standards?

Egal, wie toll alles um Cracker Island herum aussieht - wir dürfen nicht vergessen, was drin steckt. Und hier haben die Gorillaz einfach wahnsinnig Glück, dass Damon Albarn ein verdammtes musikalisches Genie ist. Musikalisch wird auf Cracker Island einerseits der klangliche Weg weiterverfolgt, den sie bereits 2017 mit ihrem Album Humanz eingeschlagen haben, es werden aber auch deutliche Sound-Referenzen zu Plastic Beach gezogen und oben drauf auch noch vermehrt auf 90s-Trends zurückgegriffen. All das führt dann doch zu einem frischen Klangbild. Aber wäre ja auch irgendwie nicht ganz Gorillaz-mäßig, wenn Damon Albarn seine Schöpfung nicht in gewisser Weise ständig neu erfinden würde.

Nicht nur die Vielfalt an Sound- und Genre-Elementen, an denen sich hier mal wieder munter bedient wird, wurden sorgfältig und zeitgemäß ausgewählt. Auch die Auswahl der Feature-Gäst*innen ist wieder grandios. Mit dabei zum Beispiel Thundercat, Tame Impala, Adeleye Omotayo und Stevie Nicks. Letztere liefert sich bei "Oil" ein unglaublich schönes Duett mit 2D:



The Last Cult

"This is the Beginning of the End (of the Beginning)"

Neben neuer Musik hatten die Gorillaz noch ein bisschen was.... Anderes im Angebot. Um nicht zu sagen: den besten Marketing-Gag aller Zeiten? Nämlich eine Mitgliedschaft bei der Sekte The Last Cult, dessen Anführer - natürlich, wer sonst - der Gorillaz-Bassist Murdoc Niccals ist. Die Pressemitteilung zum Album versprach dahingehend vorab schon einiges an Drama: Murdoc, Noodle, Russel und 2D haben sich beim Silverlake in Kalifornien niedergelassen, um dort noch mehr Anhänger*innen für den Kult anzuheuern. Worum es da überhaupt geht? Na ja, um nichts Geringeres als die Welt zu retten.

"Originally based at Kong Studios in West London, the group of musical misfits – Murdoc, Noodle, Russel and 2D – have relocated to Silverlake, California as they recruit new members to join The Last Cult in search of the one truth to fix the world. Reports from the Golden State indicate that Murdoc is in love with the lady next door. Russel is glued to the TV. Noodle is compiling a handbook of wisdom and knowledge. And 2D is busy being 2D."

Wie rettet man die Welt am besten?

Indem man ihren Bewohner*innen melancholische bis dystopische Beobachtungen schildert. Und dabei aber auch nicht vergisst, hier und da zu raven und eine gute Zeit zu haben. Genau das machen die Gorillaz auf Cracker Island. So wird eine Vielzahl von Themen angesprochen, die sowohl von sozialen und politischen Fragen bis hin zu persönlichen, emotionalen Erfahrungen reichen. Der Titelsong beispielsweise führt das Motiv des Kults ein und beschreibt das Vorgehen und Wirken von Sekten - die Art und Weise, wie diese mit ihren Thesen in dein Hirn gelangen, seelischen Frieden versprechen, aber dir letztlich nur dein Geld aus der Tasche ziehen.

They were planting seeds at night
To grow a made-up paradise
Where the truth was auto-tuned (forever cult)
But it's sadness I consumed (forever cult)
Into my formats every day (forever cult)
In the end, I had to pay (what world is this?)
In the end, I had to pay (I purged my soul)
In the end I had to pay (I drank to riot)
Nothing more to say (I drank to riot)

Auf "Skinny Ape" erläutert 2D, wie er nach seinem Missbrauchstrauma und der darauffolgenden Depression einen Neuanfang versuchen will - gleichzeitig wird hervorgehoben, dass es sich beim Gorillaz-Frontmann lediglich um eine Cartoon-Figur handelt und für ihn der Abschluss natürlich leicht fällt...

There will be time and there will be a sign (ape)
When all the kids who have cancelled time will (ape)
Take my hands and pull me up again (ape)
Cheer me up and help me walk again (walk again, walk again)

[...]

Don't be sad for me (ape)

I'm a cartoon G (ape)
And my intent is to breath (ape)
In a new world, don't be sad for me

Der Track "Silent Running" (wirklich einer der allerbesten auf dem Album!) wiederum beschreibt unser merkwürdiges Verhältnis zu Social Media, das uns nicht selten via Doomscrolling in düstere Rabbit Holes zieht und geradezu handlungsunfähig und taub macht.

Well, I got so lost here
Machine assisted, I disappear
To a dream, you don't wanna hear
How I got caught up in nowhere again (oh)
It feels like I've been silent running (silent running)


Allerdings haben nicht alle Songs tiefgründige Botschaften. So greift "Baby Queen" eine Anekdote von Damon Albarn auf: 1997 soll eine damals 14-jährige thailändische Prinzessin bei einem Blur-Konzert zu "Song 2" einen Stagedive hingelegt haben. Auf das Single-Release von "Baby Queen" folgte eine weitreichende Diskussion im Internet, um welche Prinzessin es sich wohl handeln könnte (ohne Ergebnis, leider).
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Das komplette Album ist schlichtweg prima

Der Titelsong, "Oil", "The Tired Influencer", "Silent Running", "New Gold", "Baby Queen" und und und und... - wie arg muss man sich darüber Gedanken machen, um auf eine beschränkte Anzahl bester Songs zu kommen, ehe man einfach zugibt, dass das gesamte Werk schlicht richtig, richtig gut ist? Scheint irgendwie schwierig geworden zu sein, sowas hinzunehmen - gerade wenn ein Musikprojekt schon so lange so erfolgreich war und man den Köpfen dahinter gerne mal mangelnde Innovation vorwerfen mag. Doch mit Cracker Island beweist Damon Albarn nur ein weiteres Mal seine Fähigkeit, Trends, Zeitloses und talentierte Gastmusiker*innen problemlos miteinander zu verknüpfen. Was soll man also anderes sagen außer: Gorillaz4ever!



Tracklist: Gorillaz - Cracker Island (Deluxe)

  1. Cracker Island (feat. Thundercat)
  2. Oil (feat. Stevie Nicks)
  3. The Tired Influencer
  4. Tarantula
  5. Silent Running (feat. Adeleye Omotayo)
  6. New Gold (feat. Tame Impala & Bootie Brown)
  7. Baby Queen
  8. Tormenta (feat. Bad Bunny)
  9. Skinny Ape
  10. Possession Island (feat. Beck)
  11. Captain Chicken (feat. Del the Funky Homosapien)
  12. Controllah (feat. MC Bin Laden)
  13. Crocadillaz (feat. Dawn Penn & De La Soul)
  14. Silent Running (2D Piano Version) (feat. Adeleye Omotayo)
  15. New Gold (Dom Dolla Remix) (feat. Bootie Brown & Tame Impala)

Cracker Island von den Gorillaz erscheint am 24. Februar 2023 via Parlophone.

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