Keine Freiheit ohne Pressefreiheit

Keine Freiheit ohne Pressefreiheit

Sylvie Ahrens-Urbanek von Reporter ohne Grenzen im Interview

Von  Gloria Grünwald (Interview) | Miriam Fischer (Artikel)
Letzte Woche wurde der neueste Press Freedom Index veröffentlicht. Wie es um die Pressefreiheit in Deutschland steht und was sich in anderen Ländern im letzten Jahr zum Schlechten, aber auch zum Guten verändert hat, darüber haben wir mit Sylvie Ahrens-Urbanek von Reporter ohne Grenzen gesprochen.


Krisen, Kriege und Gewalt 

All das bedroht die Pressefreiheit und hat dazu geführt, dass die Lage im vergangenen Jahr so instabil war wie seit langem nicht. Das zeigt auch die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit (Press Freedom Index), die Reporter ohne Grenzen am 3. Mai 2023, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht hat. Sylvie Ahrens-Urbanek leitet das Berliner Team Kommunikation (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) von Reporter ohne Grenzen und hat mit uns über die Entwicklungen im vergangenen Jahr gesprochen.
  • Sylvie Ahrens-Urbanek im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören


Die Kraft des Press Freedom Index

In erster Linie ist die Rangliste der Pressefreiheit Öffentlichkeitsarbeit - und die zeigt Wirkung: Sylvie Ahrens-Urbanek erzählt, dass Länder, die nicht so gut platziert sind, öfter mal nachfragen, warum das so ist und was sie tun müssten, um besser im Ranking abzuschneiden. 
"Man merkt schon, dass diese, ja, Erhebung sozusagen, auch politische Kraft entwickelt." - Sylvie Ahrens-Urbanek

Besonders gut schneiden natürlich sehr demokratische Staaten ab.
"Wir sagen ja immer 'Keine Freiheit ohne Pressefreiheit', also Pressefreiheit ist natürlich essentiell für unsere Demokratie und wir sehen eben auch gerade an diesem Ranking, dass die Pressefreiheit immer ganz besonders geschützt ist in Ländern, die sehr demokratisch sind." - Sylvie Ahrens-Urbanek

Umgekehrt ist die Lage der Pressefreiheit besonders schlecht in Ländern, die sehr autoritär sind. Diese Regime melden sich nach Veröffentlichung des Press Freedom Index auch gerne zurück, um zu sagen, dass ihre Bewertung falsch sei, so Sylvie Ahrens-Urbanek.



Deutschland ist von Platz 16 auf 21 abgerutscht

Eigentlich hat sich Deutschland nicht dramatisch verschlechtert, nur um 0,13 Punkte, erklärt Sylvie Ahrens-Urbanek. Es ist allerdings zu sehen, dass die Sicherheitslage von Journalist*innen deutlich schlechter geworden ist: Seit 2015 erfasst Reporter ohne Grenzen Übergriffe gegen Journalist*innen und Medienhäuser, 2022 haben sie 103 Übergriffe gezählt - das ist die bisher höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnung.
"Und was man eben auch sehen muss, ist, dass es sicher eine hohe Dunkelziffer gibt. Denn viele Journalist*innen melden diese Übergriffe gar nicht, bringen sie auch bewusst nicht zur Anzeige, weil sie oft eben Angst haben, dass sie sich damit womöglich selbst zusätzlich gefährden [...]. Das heißt, wir gehen immer davon aus, dass es noch deutlich mehr Übergriffe gegeben hat. Aber wie gesagt, die Sicherheit in Deutschland gibt uns schon zu denken." - Sylvie Ahrens-Urbanek

Deutschland hat aber auch Plätze verloren, weil andere Länder aufgestiegen sind. 

Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass sich die Lage in diesen Ländern stark verbessert hat. Samoa beispielsweise liegt jetzt zwar vor Deutschland und punktet vor allem im Bereich Sicherheit, dabei muss allerdings auch beachtet werden, dass in Samoa nur 200.000 Menschen leben und dort dementsprechend vermutlich auch weniger Demonstrationen stattfinden. Und diese stellen bei uns oft eine Gefahrensituation für Journalist*innen dar.


Abgesehen von der Sicherheit wird im Rahmen des Press Freedom Index auch der politische Kontext, die wirtschaftliche Lage, die Entfaltungsfreiheit der Medien und der soziokulturelle Faktor betrachtet. Mehr Hintergrundinfos dazu, wie der Press Freedom Index erhoben und Pressefreiheit eigentlich definiert wird, bekommst du hier. Die komplette Rangliste der Pressefreiheit findest du hier.



Entwicklungen im Ausland

An der Spitze der Liste sind vor allem auch skandinavische Länder vertreten. Norwegen zum Beispiel macht so ziemlich alles richtig, erklärt Sylvie Ahrens-Urbanek. Zum siebten mal belegt Norwegen den ersten Platz und hat als einziges Land in allen Kategorien über 90 von insgesamt 100 möglichen Punkten. Das liegt zum Beispiel daran, dass es eine sehr starke Gesetzgebung gibt, um die Pressefreiheit zu schützen, auch die ökonomischen Faktoren sind sehr gut und zudem haben Medienschaffende weitreichende Zugriffsrechte.

Auf Platz zwei liegt dieses Jahr Irland. Dort hat eine Expert*innenkommission 50 Punkte erarbeitet, um die Lage der Pressefreiheit zu verbessern und die irische Regierung hat angekündigt, fast alle dieser Punkte umsetzen zu wollen - das ist ein sehr starkes Signal für die Pressefreiheit.

Ein Negativbeispiel hingegen ist Russland auf Platz 164

Sylvie Ahrens-Urbanek erklärt, dass es in Russland innerhalb des Landes eigentlich keine unabhängige Berichterstattung mehr geben kann, da kritische Journalist*innen sofort weggesperrt werden. Infolgedessen haben sehr viele Journalist*innen das Land verlassen, um von außerhalb zu berichten, damit die Menschen in Russland weiterhin auf unabhängige Nachrichten zugreifen können.

In Ukraine wiederum gibt es vor Ort verschiedenfarbige Zonen: In rote Zonen dürfen beispielsweise grundsätzliche keine Berichterstatter*innen, was Reporter ohne Grenzen sehr kritisch bewertet, da man auch in solchen Gebieten auf unabhängige Beobachter*innen angewiesen ist. Insgesamt ist Ukraine allerdings im Ranking gestiegen und liegt jetzt auf Platz 79, was unter anderem daran liegt, dass der Einfluss von Oligarch*innen in den Medien abgenommen hat.

Besonders schlimm ist die Situation auch in Südamerika, zum Beispiel in Mexiko

Mexiko belegt Platz 128 und das größte Problem dort ist die Straflosigkeit, erzählt Sylvie Ahrens-Urbanek: Es kommt immer wieder vor, dass kritisch berichtende Journalist*innen erschossen werden, anschließende Ermittlungen verlaufen allerdings meist im Sand. Es gibt dort zwar auch ein Schutzprogramm für Journalist*innen, dieses arbeitet aber oft zu langsam und leistet zu spät Hilfe.

Positive Entwicklungen in der Region Subsahara Afrika

Afrika ist der Kontinent, auf dem es die wenigsten Länder gibt, in denen die Lage "sehr ernst" ist. Im Gegenteil: Es gibt einzelne Länder, die sich kontinuierlich verbessern, zum Beispiel Gambia.
"Gambia ist ein Land, das ist ganz, ganz lange von einem Diktator regiert worden und seit dem es zur Demokratie zurückgekehrt ist, kann sich auch die Pressefreiheit wieder entfalten. Viele gesperrte Medien wurden wieder freigegeben, hunderte Journalisten, die das Land verlassen haben, sind nach Gambia zurückgegangen und haben die Presselandschaft wieder neu aufgebaut." - Sylvie Ahrens-Urbanek

Heute liegt Gambia auf Platz 46 und im gelben Bereich, die Lage ist also "zufriedenstellend".
"Solche Entwicklungen freuen mich persönlich dann immer, weil man sehen kann, also so ein politischer Change, der kann alles verändern." - Sylvie Ahrens-Urbanek



jule-halsinger_rsf_sylvie-ahrens.jpg
Credits: Jule Halsinger

Design ❤ Agentur zwetschke