Consent

Consent

Weil Feminismus alle was angeht

Von  Miriam Fischer
Ja, nein, vielleicht? Wenn es um Sexualität geht gilt: Consent is key! Aber was genau bedeutet das eigentlich und wo verlaufen die Grenzen von Konsens?


Consent is key

Was bedeutet Consent und wo verlaufen die Grenzen? 

Warum werden Grenzen so oft ignoriert?

Wie funktioniert Consent - und wie nicht?

Was können wir für mehr Consent tun?



Was bedeutet Consent?

Consent, oder auf Deutsch Konsens, bedeutet Zustimmung, Einwilligung oder Einvernehmlichkeit. Im sexuellen Kontext heißt das, die beteiligten Personen sind gleichermaßen und zu jeder Zeit mit allem einverstanden, was passiert. Eine sexuelle Aktivität ohne Konsens ist entweder sexuelle Belästigung oder eine Vergewaltigung. Das gilt in Deutschland seit 1997 auch innerhalb der Ehe und seit 2016 auch dann, wenn keine Gewalt angedroht oder angewendet wurde, denn "Nein heißt Nein". 

Die aktuelle Regelung in Deutschland ist vielen allerdings nicht klar genug, da die Abwesenheit eines Neins nicht automatisch als Ja gewertet werden kann. Sie fordern ein sogenanntes Zustimmungsgesetz, um die Prävention und Verfolgung von sexualisierter Gewalt und den Opferschutz zu stärken. Ein solches "Nur Ja heißt Ja"-Gesetz haben aktuell zwölf Länder in der EU, zuletzt reformierte Spanien dieses Jahr sein Sexualstrafrecht. Auch in den USA gilt dieser Ansatz beispielsweise in Firmen oder Universitäten. In vielen anderen Teilen der Welt spielt Konsens allerdings immer noch kaum eine bis gar keine Rolle. 

Wo verlaufen die Grenzen von Konsens?

Um das an dieser Stelle nochmal absolut klarzustellen, ganz grundsätzlich gilt: Eine schlafende Person, jemand der durch Alkohol oder andere Drogen stark beeinträchtigt ist oder jemand, der unter Druck gesetzt wird, Angst hat oder bedroht wird, kann nicht bewusst, frei und aktiv etwas zustimmen. Und auch Menschen, die eine geistige Behinderung haben sind unter Umständen nicht in der Lage, zuzustimmen.

Hinzu kommt: Oft empfinden Menschen in alltäglichen sexuellen Begegnungen etwas zwar nicht als Übergriff, lassen aber dennoch mehr zu, als sie eigentlich wollen. Das kann ganz unterschiedliche und sehr individuelle Gründe haben. Vielleicht, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen oder keine Lust auf Diskussionen hatten oder schon zu oft erlebt haben, dass ihre Worte nicht ernst genommen oder ignoriert werden. Denn viel zu schnell fallen Sätze wie: "Komm schon", "Sei doch nicht so", "Du willst es doch auch", "Was ist denn dabei?", oder "Wir sind doch alle erwachsen". Und da muss klar sein, das all diese Worte bedeuten eigentlich: "Ich nehme deine Grenzen zwar wahr, will sie aber für meine Befriedigung dennoch überschreiten". Je nach dem, welche Erfahrungen jemand in seinem bisherigen Leben gemach hat, kann es sein, dass eine Person nach solchen Sätzen innerlich aufgibt oder sogar in eine Art Schockzustand kommt. Dann fällt zwar kein aktives "Nein" - Konsens besteht trotzdem nicht. 

Das Thema Konsens spielt also nicht nur in Hollywood oder in den höchsten Etagen von großen Unternehmen eine Rolle, sondern auch bei ganz alltäglichen Kontakten. 

Auch in einer Beziehung ist es okay und vollkommen normal, nein zu sagen. Das müssen sich in heterosexuellen Beziehungen vor allem Frauen immer wieder in den Kopf rufen: Auch wenn in der Vergangenheit genau dieses Bild vermittelt wurde - es ist nicht die Verpflichtung der Frau dafür zu sorgen, dass der Mann sexuell befriedigt ist. 

Und nicht falsch verstehen: Natürlich ist das schön, wenn sexuelle Bedürfnisse sich möglichst oft überschneiden und beide gleichzeitig Lust auf dasselbe haben, wenn das aber mal nicht der Fall ist, ist das auch vollkommen okay. Da sollte niemand ein schlechtes Gewissen oder Angst vor schlechter Stimmung haben müssen. Denn es gibt kein Recht auf Sex. Für niemanden. Das ist wichtig zu verinnerlichen, denn nicht immer ist Druck von außen das Problem, es kann auch an inneren Zwängen liegen, dass Frau zu etwas zustimmt, das sie eigentlich nicht will. Zum Beispiel weil sie gelernt hat, ihre eigenen Bedürfnisse unterzuordnen oder aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus. 

Es ist immer okay, nein zu sagen.

Auf TikTok gehen Videos viral, in denen junge Frauen darauf anspielen, dass sie teilnahmslos Sex über sich ergehen lassen in der Hoffnung, dass es eh bald vorbei ist. Unter den Kommentaren sind - neben Verweisen auf Kommunikation und Konsens - auch viele Aussagen wie diese:

"Das Problem ist, man traut sich dann auch nicht das Ganze zu beenden... Weil es ist ja hoffentlich gleich vorbei..."
"Tut halt irgendwann voll weh"
oder
"Man traut sich aber auch nicht was zu sagen, weil man den nicht verletzen will hahahah" 

Aber Sex sollte niemals etwas sein, was man "über sich ergehen" lässt. Man kann, darf und sollte immer Stopp sagen sobald sich etwas nicht mehr gut anfühlt - ganz egal, ob man schon "mittendrin" ist. Konsens soll außerdem auch kein Kompromiss sein, nach dem Motto: "Ich mache das für dich, dafür bekomme ich jenes von dir", nein. Denn nochmal: Consent bedeutet, die beteiligten Personen sind gleichermaßen und zu jeder Zeit mit allem einverstanden, was passiert.

Und was auch wichtig ist: Konsens gilt nur für eine Sache. Wenn also küssen okay ist, heißt das nicht automatisch, dass Sex auch okay ist. Und keine Klamotte, kein Flirten, kein einladen lassen, kein mit nach oben kommen, kein ins Auto steigen oder sonst etwas, ist automatisch Consent für etwas anderes.

Hier mal ein Beispiel, um die bisherigen Infos zu veranschaulichen:


Aber warum werden Grenzen so oft ignoriert?

Grund dafür, dass so viele Männer (sexuelle) Grenzen von Frauen viel zu oft ignorieren (und Frauen manchmal auch ihre eigenen Grenzen), sind - wer hätte es gedacht - vor allem jahrtausendealte patriarchale Strukturen und die Sozialisierung, die auf diesen basiert. Oft spielt auch Machtdemonstration eine große Rolle bei Übergriffen.


In Deutschland waren 2020 knapp 95 Prozent der Überlebenden von Ver­ge­wal­ti­gung, se­xu­el­ler Nötigung und se­xu­el­len Über­grif­fen weiblich. Natürlich können aber auch Männer sexuelle Gewalt erleben. Erfasst werden allerdings nur Übergriffe, die bei der Polizei gemeldet wurden, die Dunkelziffer ist groß und Männer erstatten nach sexuellen Übergriffen tendenziell noch seltener Anzeige als Frauen. Das kann Auswirkungen auf die Prozentzahlen haben, daran, dass  Opfer von sexuellen Übergriffen in den aller meisten Fällen weiblich sind, ändert das allerdings nichts. Und wer zusätzlich von Diskriminierungsformen wie Rassismus, Ableismus oder Homphobie betroffen ist, ist noch gefährdeter, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden, da sich Diskriminierungsformen gegenseitig verstärken. Mehr dazu erklären wir dir hier in unserem Artikel zu Intersektionalität


Und auch, wenn folgenden Spruch die meisten wahrscheinlich schon oft gelesen haben, bleibt der Kern noch genauso relevant: Warum haben so viele Frauen Freundinnen, die sexuell belästigt und/oder vergewaltigt wurden, aber kaum ein Mann kennt jemanden, der so etwas getan hat? Viele Männer merken es gar nicht - oder besser: wollen es nicht merken - wenn sie Grenzen überschreiten und müssen dringend damit anfangen, sich selbst zu reflektieren und das eigene Verhalten zu ändern.


Denn die Verantwortung bei der Verhinderung von sexuellen Übergriffen den Frauen zu überlassen, kann und darf nicht die Lösung sein:

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Wir müssen uns also alle von problematischen Denkweisen befreien

Und wenn wir schon dabei sind, uns von sexistischen Verhaltensweisen und Denkmustern endlich freizumachen, sollten wir uns auch von höchst problematischen Klischees verabschieden, die das Thema Consent unnötig schwierig machen. Zum Beispiel, dass Männer immer Lust auf Sex haben oder Frauen oft Nein sagen, wenn sie eigentlich Ja meinen. Oder das mittelalterliche Bild, dass es männlich sei, ohne zu fragen einfach zu nehmen, und Frauen dieses Verhalten dann stark und sexy finden. Excuse me, wir haben 2022...

Aber wie funktioniert Consent denn nun - und wie nicht?

Bevor jetzt viele mit gespielter Panik fragen, ob man sich jetzt vor jeder Berührung immer einen Zettel unterschreiben lassen muss - eher nicht, denn die meisten Menschen sind sehr wohl in der Lage, kleinste Blicke, Gesten, Schweigen oder ähnliche Signale wahrzunehmen und zu deuten (dann können sexuelle Anbahnungen unter Umständen auch ohne Worte - aber dennoch mit Konsens - funktionieren). Es hat also jede und vor allem jeder die Möglichkeit, einfach eine empathische Person zu sein. Das heißt nachfragen, wenn du dir unsicher bist und aufhören und das Gespräch suchen, sobald du keine Reaktion von der anderen Person bekommst, sie zurückzuckt, sich sehr passiv verhält oder ähnliches. Denn wie hoffentlich bereits klar geworden ist: Das Thema ist weitaus komplexer als eine einmalige Ja-Nein-Frage.

Das Problem ist doch viel mehr, dass diese Reaktionen viel zu oft zwar wahrgenommen, aber eben ignoriert werden.

Das gilt in Sportvereinen, großen Firmen, in der Film- und Musikindustrie genau wie in Partnerschaften und bei One Night Stands.

Deswegen bezweifeln einige Expert*innen auch, dass eine gesetzliche "Nur Ja heißt Ja"-Regelung bei uns tatsächlich zu weniger Übergriffen führen würde.

Denn die aller wenigsten Vorfälle basieren wohl tatsächlich auf Missverständnissen, sondern darauf, dass eine Person (meist Männer), ganz bewusst das Verhalten und die Anzeichen einer anderen Person (meist Frauen) ignoriert. Zu behaupten, etwas wurde nicht deutlich genug gesagt, oder es wurden missverständliche Signale gesendet, dient meist nur dazu, die Schuld hinterher von sich zu weisen – dem Opfer in die Schuhe. An dieser Stelle sei auch nochmal der Artikel zum Thema Victim Blaming ans Herz gelegt. 



Was können wir für mehr Consent tun?

Abgesehen davon, patriarchale Strukturen aufzubrechen und sexistische Denk- und Verhaltensweisen abzulegen: Reden, reden reden. Und klar, offene Kommunikation, vor allem wenn es um Sex geht, kann am Anfang schwer fallen und etwas Mut und Überwindung kosten. Aber die Angst, etwas zu tun, was die andere Person nicht will, sollte immer größer sein, als die Angst davor, ein Nein zu kassieren. Dafür müssen wir aber aufmerksam sein und überhaupt erstmal Raum lassen für offene Gespräche und potentielle "Zurückweisungen".

Passende Sätze könnten zum Beispiel folgende sein:

  • Darf ich dich küssen?
  • Ich habe Lust auf xyz, du auch?
  • Ist es okay, wenn ich xyz mache?
  • Willst du, dass ich weitermache?
  • Fühlt sich das gut für dich an?
Oder hinterher:
  • Was hat dir besonders gut gefallen?
  • Was soll ich das nächste mal mehr/weniger machen?
  • Gibt es etwas, das du nächstes mal gerne ausprobieren würdest?
Das klappt übrigens bei homosexuellen Sexpartner*innen tendenziell schon besser: Untersuchungen zeigen, dass schwule und lesbische Menschen mehr Wert auf Kommunikation und Konsens legen. 

Aber nicht nur im Bett müssen wir mehr reden. 

Es ist auch wichtig, dass wir uns weiter mit dem Thema Konsens und einvernehmlicher Sexualität auseinandersetzen und mit Freund*innen und Familie Erfahrungen und Gedanken austauschen, eigene Probleme erkennen und anerkennen, dass das Thema Consent komplexer als ein Ja oder Nein ist.

Außerdem ist es extrem wichtig, dass diejenigen, die direkten Einfluss auf Kinder haben, sensible, aufmerksame und selbstbestimmte Menschen frei von Stereotypen erziehen und aufklären. 

Kinder müssen von klein auf lernen, wie wichtig Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist und wie wichtig es ist, die Grenzen von anderen Menschen zu respektieren. Und das fängt zum Beispiel damit an, dass sie nicht gezwungen werden, Großeltern zur Begrüßung zu küssen, oder es nicht ignoriert (oder sogar noch "süß" gefunden wird), wenn in der Kita ein Kind gegen dessen Willen von einem anderen Kind geküsst wird. 



Am Feminism Friday erklären wir dir regelmäßig die wichtigsten Schlagworte und ordnen die umstrittensten Themen des Feminismus ein. Einen Überblick über die bisherigen Artikel und die Möglichkeit, selbst Themen vorzuschlagen, bekommst du hier.

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