"If we do not engage with our love, we are all doomed"
Mit ihrem neuen Werk liefern Garbage ein emotional aufgeladenes Album, das zwischen politischer Klarheit und radikaler Zärtlichkeit pendelt. Frontfrau Shirley Manson spricht im Interview mit Sandra über Empathie, Verantwortung – und darüber, warum älter werdende Frauen in der Musikbranche immer noch revolutionär sind.
Garbage: Let All That We Imagine Be the Light
Garbage haben am 30. Mai 2025 ihr achtes Studioalbum veröffentlicht!Let All That We Imagine Be the Light spannt sich zwischen Schmerz und Hoffnung und kanalisiert persönliche Rückschläge, politische Ohnmacht und nicht zuletzt eine Suche nach Licht. Mit dem neuen Werk, das schon vor Jahren in Studios, auf Tour und in Shirley Mansons Schlafzimmer nach und nach entstanden ist, zeigen Garbage, dass Optimismus ein Akt des Widerstands sein kann.
Shirley Manson ist zu Gast in egoFM Sandras Show Chelsea Hotel und spricht abgesehen vom neuen Album auch über Empathie und politische Verantwortung. Hier hörst du das komplette Gespräch:
Garbage im Chelsea Hotel
Das komplette Interview mit Shirley
Freude, wenn die Welt brennt: Happy Release Day my Arse
Kann man als Band, die sich laut gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt ausspricht, überhaupt die Korken knallen lassen, wenn das neue Album das Licht der Welt erblickt? Für Shirley Manson, Frontfrau von Garbage, ist dies tatsächlich relativ schwierig. Im Interview mit Moderatorin Sandra beschreibt sie sich selbst als ziemlich empathisch - hypersensibel, um genau zu sein - weshalb sie die Gefühle und das Leid anderer stark spürt und nicht einfach abschalten kann. Auch nicht am Release Day. Wegschauen und das Schlechte der Welt komplett ausblenden will sie jedoch auch nicht. Oder viel mehr: erst recht nicht.
"There Is No Future in Optimism": Ein Song zwischen Dunkelheit und Hoffnung
Furchtbare Nachrichten - von denen gibt's momentan viele. Kein Wunder, wenn man sich da mal überfordert fühlt. Shirley verarbeitet dies im Song "There Is No Future in Optimism", der letztes Jahr entstanden ist und stark von ihren eigenen Gefühlen der Verzweiflung und Angst vor der Welt geprägt wurde. Während des Lockdowns steckte sie in Los Angeles fest, getrennt von ihrer Familie, und wurde von den Ereignissen rund um den grauenhaften Mord an George Floyd und den daraus resultierenden Black Lives Matter-Protesten tief erschüttert. Die Demos fanden direkt vor ihrem Haus in einem eher rauen Teil von Hollywood statt, begleitet von einer massiven Polizeipräsenz mit Helikoptern, was für sie wie ein Polizeistaat wirkte. Diese Zeit war sowieso schon von großer Angst und Anspannung geprägt. Ein Erdbeben mitten in der Nacht verstärkte dieses Gefühl der Bedrohung dann noch mal um ein Vielfaches.
Und obwohl die Ursprünge des Songs in spezifischen Ereignissen liegen, sieht sie die Botschaft heute, 2025, als noch allgemeiner gültig an - weil sich die Lage der Welt seit 2020 leider eher verschlechtert hat. Die düstere, fast dystopische Stimmung des Musikstücks spiegelt nämlich genau dieses Empfinden wider. Für Shirley war der Song trotzdem auch eine Art Liebeserklärung, allerdings an eine Zukunft, die anders und schöner gestaltet sein muss. Eine klare Absage an die oft feindseligen und intoleranten Botschaften, mit denen Regierungen Menschen spalten, misstrauisch machen und zu Hass animieren. Sie beschreibt das Lied als eine Aufforderung, genau dem entgegenzutreten und stattdessen eine bessere Welt anzustreben.
Songs über schlimme Ereignisse zu schreiben hilft Shirley
Obwohl Shirley - wie sie anfangs des Interviews erklärt - hypersensibel ist und daher in Angesicht des ganzen Leids auf der Welt auch an ihre Grenzen gerät, hilft es ihr, sich intensiv damit in ihrer Musik auseinanderzusetzen. Denn dies sei auch die Gabe einer künstlerischen Person, ihre Werke als eine Art Ventil zu benutzen, um Druck freizusetzen.
"I think the great gift of being an artist is, that it often saves your life. You know, when you get to express very complicated, complex things in your art. And in my case, in music, that is an outlet, a sort of a release valve. [...] The pressure gets released. And I consider myself really lucky and privileged to be able to do that. I don't know how other people who are not necessarily engaged in the arts deal with the pressure of that." - Shirley Manson
Ungerechtigkeiten anzusprechen, sieht sie dabei als Teil ihres Jobs
Besonders der anhaltende Angriff auf Gaza beschäftigt sie enorm. Shirley spricht von einem Gefühl tiefer Hilflosigkeit angesichts des Leids. Was sie besonders beunruhigt: Dass das, was den Palästinenser*innen widerfährt, scheinbar ungehindert weitergehen kann, ohne dass es ernsthaften Widerspruch gibt. Und dass diejenigen, die sich dagegen aussprechen, per se als Kriminelle oder Befürworter*innen der Hamas geframed werden. Für sie fühlt sich das an, als würde die Welt komplett auf dem Kopf stehen - als sei man durch konsequente Haltung für Menschlichkeit plötzlich wieder dort angekommen, wo Meinungsfreiheit unterdrückt und Andersdenken zum Risiko wird. In dieser Atmosphäre sieht Shirley es als ihre Verantwortung an, ihre Stimme zu erheben, auch wenn das unbequem ist.
Sollten sich alle Künstler*innen ihrer Macht bewusst sein?
Für Shirley Manson ist klar: Kunst - und vor allem Musik - besitzt eine tiefe, transformative Kraft. Sie erinnert daran, wie stark Menschen sich durch Musik verbunden fühlen, wie sie Trost spenden und Hoffnung stiften kann. Ob bei Beyoncé, Taylor Swift oder eher politischen Acts wie Kneecap oder Fontaines D.C. - die Resonanz der Fans sei Ausdruck dieses Potenzials. Musik, sagt Manson, habe die einzigartige Fähigkeit, eine sehr persönliche Verbindung zum Publikum aufzubauen, eine Art innerer Dialog, der ohne Vermittlung funktioniert. Genau diese Wirkung, so glaubt sie, macht Kunst auch für Machtstrukturen bedrohlich. Deshalb werde Künstler*innen oft nahegelegt, bei ihrer Kunst zu bleiben und sich nicht politisch zu äußern.
Doch damit stellt sich auch die Frage nach Verantwortung: Wenn Musik Menschen berührt und zum Nachdenken bringt - sollten Künstler*innen dann nicht auch gesellschaftliche Missstände ansprechen? Manson sieht das differenziert. Nicht alle seien gleich gemacht, nicht alle hätten die Kraft oder die Fähigkeit, politische oder soziale Anliegen zu artikulieren. Künstler*innen seien genauso verletzlich und vielschichtig wie andere Menschen auch. Manche hätten das Bedürfnis, sich laut einzumischen - andere blieben lieber still, und das sei ebenso legitim.
Gleichzeitig beobachtet sie, dass der Druck auf öffentliche Personen, sich zu äußern, in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Wer schweigt, riskiert ebenso Kritik wie jene, die sich äußern - gerade wenn Worte fehlen oder nicht den Erwartungen entsprechen. In einer Zeit, in der Künstler*innen immer wieder mit sogenannten Cancel-Kampagnen konfrontiert sind, sei die Angst real, durch politische Aussagen die eigene Existenzgrundlage zu gefährden. Das gelte besonders angesichts einer Medienlandschaft, in der oft nur eine Perspektive Raum bekommt, sowie eines politischen Klimas, das selbst hochrangige Amtsträger*innen zum Schweigen bringe - aus Angst vor Konsequenzen.
In diesem Spannungsfeld sei es umso wichtiger, Empathie für die unterschiedlichen Wege zu bewahren, wie Künstler*innen mit ihrer Stimme umgehen.
Ältere Frauen im Musikbusiness: Sichtbar bleiben als radikaler Akt
Ageism - so nennt man die Diskriminierung älterer Menschen in Jobs und Gesellschaft. Im Entertainment-Business sind davon besonders Frauen betroffen. Shirley Manson steht dem gegenüber als glänzendes Vorbild für selbstbewusstes Altern in einer Industrie, die Frauen viel zu früh aus dem Rampenlicht drängt. Schon mit Anfang 30 - einem Alter, in dem viele männliche Kollegen gerade erst als interessant galten - wurde ihr gesagt, sie sei zu alt für die Popwelt. Dass sie heute, Jahrzehnte später, immer noch auf Bühnen steht, Alben veröffentlicht und sich gesellschaftlich einmischt, ist nicht selbstverständlich. Es ist ein stiller, aber radikaler Akt des Widerstands gegen ein System, das Frauen mit jeder Falte und jedem grauen Haar unsichtbarer machen will.
Gleichzeitig sieht Manson auch, dass sich etwas bewegt. Sichtbare, laute, alterslose Ikonen wie Grace Jones, Patti Smith, Debbie Harry oder auch jüngere Künstlerinnen wie PJ Harvey oder St. Vincent zeigen, dass musikalische Relevanz kein Verfallsdatum kennt - wenn man sich nicht von außen zum Schweigen zwingen lässt. Diese Frauen bleiben kompromisslos, fordernd und unbequem. Und sind damit absolute Queens.
Liebe als Widerstand: Mit Sanftheit gegen den Zynismus der Welt
Während das Vorgängeralbum von Garbage noch stark von Wut und politischem Protest geprägt war, schlägt Shirley Manson auf Let All That We Imagine Be Light bewusst einen anderen Ton an. Die Frustration ist nicht verschwunden. Im Gegenteil, die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten Jahre hätten ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Doch statt sich erneut der Wut hinzugeben, hat Manson sich diesmal für einen anderen Weg entschieden: Sie will der Welt mit Liebe begegnen. Für sie ist das kein naiver Eskapismus, sondern eine bewusste, politische Entscheidung. Sie spricht davon, dass Empathie, Toleranz und Mitgefühl zu den mächtigsten Werkzeugen gehören, die uns als Menschen zur Verfügung stehen. Besonders in einer Zeit, in der Angst, Misstrauen und Polarisierung bewusst geschürt werden. Anstatt diese Mechanismen zu bedienen, möchte sie einen Gegenentwurf formulieren: eine offene Haltung, die auf Vergebung statt Verurteilung, auf Weichheit statt Härte setzt.
Diese Haltung zieht sich als roter Faden durch das neue Album: Es ist durchzogen von einer ständigen Spannung zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Verletzlichkeit und Widerstandskraft. Inmitten der düsteren Zustandsbeschreibung einer zerrissenen Welt schimmert immer wieder eine Weigerung durch, sich brechen zu lassen. Für Manson ist es ein Akt der Selbstbehauptung, sich nicht zu einem Werkzeug von Spaltung und Hass machen zu lassen. Ihre Antwort auf die Krisen der Gegenwart: Sanft bleiben, wenn alles andere verhärtet. Und in der Liebe eine Kraft erkennen, die sich dem Zynismus entzieht - und ihm etwas entgegensetzt.
"I don't want this world to turn me into a monster. I want to remain soft. I want to engage with my compassion and my forgiveness and my tolerance. You know, all these beautiful things that we can choose to employ as human beings on this earth other than the forces that I believe the system in place wants us to engage with, they want to, you know, us to engage with our fear. And they want us to engage in our opposition to anyone who is a different colour of skin from us, from different religious practise, a different gender. And I have determined that I will not allow that to happen to me. I'm going to resist that. This is my form of hope" - Shirley Manson
Wenn wir nicht anfangen, uns zu lieben, geht der Westen unter
"If we do not engage with our love, we are all doomed" - dieser Satz fasst Shirleys Haltung zum Zustand der Welt zusammen und ist darüber hinaus auch ein fast verzweifelter Appell. In einer Welt, die geprägt ist von Gewalt, Angst und Polarisierung, setzt sie auf eine radikale Idee: die aktive Entscheidung für die Liebe. Und zwar nicht im kitschigen, romantisierten Sinne, sondern als ernst gemeinten politischen und existenziellen Akt.
"I do try now to really be an active participant in loving and this sounds so unlike anything I have ever said. I mean, the fact that I'm saying it is almost embarrassing to me, that I'm employing these cliches. You know, It feels very corny in some ways to me, but I do realise that as a global community, if we do not engage with our love, we are all doomed. I really believe that to be true. Like at some point we all have to say: Alright, first of all, we need to stop shouting at one another. We have to get a little quiet and we have to stop killing people. Let's start there. Once we've stopped killing people and we've cooled everything down, let's actually start to engage with one another from a loving perspective as opposed to a hateful one. And if we do not learn how to do that and we do not learn how to do that soon, I do believe that we are going to see the absolute destruction of Western civilization." - Shirley Manson
Sie spricht des Weiteren über die Schwierigkeit, als eigentlich soziales Wesen in einer Welt zu bestehen, die ständig neue Formen der Grausamkeit produziert. Die Bilder der Gegenwart, insbesondere von Kindern, die in Kriegsgebieten ums Leben kommen, beschreibt sie als zutiefst erschütternd. Dabei geht es ihr nicht um Schuldzuweisungen oder geopolitische Analysen, sondern um das grundlegende Menschliche: den kollektiven Verlust an Mitgefühl und moralischer Orientierung.
Manson macht deutlich, dass sie keine einfachen Antworten auf diese Untergangsstimmung hat - keine Selbsthilfeformel, keine fertige Lösung. Was sie aber mit zunehmendem Alter erkannt hat, ist, dass Liebe nicht nur ein Gefühl, sondern eine bewusste Handlung sein muss. Sie spricht von einem globalen Wendepunkt, an dem wir uns entscheiden müssen: Wollen wir weitermachen mit Hass, Gewalt, politischem Taktieren - oder schaffen wir es, innezuhalten, einander wieder zuzuhören und unser Menschsein ins Zentrum zu rücken? Aufhören, uns nur noch anzuschreien, aufhören zu töten und stattdessen still werden, zuhören und anfangen, einander mit Liebe zu begegnen. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Denn wenn wir diese Entscheidung nicht treffen, glaubt Manson, droht der westlichen Zivilisation der totale moralische und gesellschaftliche Kollaps.
"It sounds so terrifying but I also think here we have an amazing opportunity to really change the direction in which we're all headed. I think we are all agreed or most at least thinking people are agreed: We are going down a course that nobody's happy with. Like, you're watching babies getting slaughtered, irregardless of the right and wrong of this situation and regardless of the history and the horror and the trauma, I think we can all agree: Watching little babies get killed in tents is one of the worst things we have ever seen. Something has to be done about it and it shocks me that world leaders are so busy playing politics, being sure not to offend powerful people that they're allowing this to go on unabated and I find it heart shattering. I do not think it's good for anyone at all, no matter what side of the fence you're standing on. This is just a destructive horror that we're all being asked to swallow and being asked not only to swallow, but pretend it's OK." - Shirley Manson
Hilft ja nichts: Wir müssen nach vorne schauen
Trotz aller düsteren Entwicklungen und der Spaltung in der Welt zeigt Shirley Manson, dass es keinen Ausweg gibt, außer aktiv Liebe und Empathie zu leben. Nur so lässt sich der Zynismus überwinden und ein echtes Miteinander schaffen. Wenn wir den Mut finden, nach vorne zu schauen und einander mit Offenheit zu begegnen, können wir eine bessere Zukunft gestalten, in der Menschlichkeit im Zentrum steht.
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