Diskriminierung durch Kriminalstatistiken

Diskriminierung durch Kriminalstatistiken

Laila Abdul-Rahman über die Missstände in der Kriminalitätsberichterstattung

Sogenannte "Clanfamilien" begegnen uns in den Medien, wenn über große Razzien oder einen spektakulären Kunstraub berichtet wird, in politischen Diskussionen über Integration oder auch in Filmen und Serien. Aber wie werden dadurch rassistische Vorurteile verstärkt? Und wie wird so auch die Strafverfolgung beeinflusst? Wir haben Juristin und Kriminologin Laila Abdul-Rahman gefragt.

Zwischen Razzien und Rassismusvorwürfen

Seit 2018 listet das Bundeskriminalamt in seinem Lagebericht "Clan-Kriminalität" als eigene Kategorie und unterscheidet "Clan-Kriminalität" auch von anderen Formen des organisierten Verbrechens. Kritische Stimmen sagen, der Begriff schürt Rassismus und ist nicht wissenschaftlich – das meint auch Laila Abdul-Rahman, Kriminologin an der Uni Frankfurt. Bei Razzien ging die Polizei zuletzt in NRW wieder verstärkt gegen sogenannte "Clan-Betriebe" vor. Aber was bedeutet es eigentlich für Menschen, die nur aufgrund ihres Nachnamens verdächtigt werden?
  • Kriminologin und Juristin Laila Abdul-Rahman über Clankriminalität
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Was ist "Clan-Kriminalität"?

Kriminologin Laila Abdul-Rahman beschäftigt sich schon lange mit "Clan-Kriminalität". Sie ist nicht wirklich Fan des Begriffs und auch wir setzen es hier absichtlich in Anführungszeichen. Das liegt daran, dass der Begriff einerseits aus unterschiedlichen Gründen immer wieder in der Kritik steht, anderseits auch aus wissenschaftlicher Sicht sehr schwammig ist, da er einfach nicht richtig definiert werden kann. 
"Wenn wir uns das anschauen, wird darunter eben wirklich jegliches delinquente Verhalten von Personen gefasst, die eben einer solchen Familie zugerechnet werden. Und da kommt im Prinzip schon die erste Unschärfe rein, dass eigentlich jegliches strafbare aber auch ordnungswidrige Verhalten darunter fällt. Das heißt auch Parkverstöße könnten darunter fallen - oder fallen auch darunter -, werden in den Statistiken eben erfasst und das bedeutet, dass wir eigentlich nicht mehr auf ein bestimmtes Kriminalitätsphänomen schauen, sondern wir schauen eigentlich auf das Verhalten von bestimmten Personengruppen und in diesem Fall eben Personengruppen, die einer bestimmten Herkunft zugeordnet werden." - Laila Abdul-Rahman

Das ist natürlich nicht besonders wissenschaftlich, weil hier nicht begründet wird, warum genau diese Menschen besonders kriminalisiert werden und in eine eigene Statistik kommen. Mittlerweile gibt es bereits viele Studien, die belegen, dass die sogenannte "Clan-Kriminalität" sich gar nicht so sehr von anderen Formen der Kriminalität unterscheidet, die in der Regel als deutsch und/oder weiß eingeordnet werden. Aber warum landet zum Beispiel das Fahren ohne Ticket in den Öffis nur in der Statistik für "Clan-Kriminalität", wenn die Person einen bestimmten Nachnamen trägt? Warum sind es hauptsächlich arabische, türkische oder kurdische Familiennamen und nicht etwa polnische oder italienische Familiennamen, die in Namenslisten bei der Polizei auftauchen? Laut Laila hat das unterschiedliche Gründe:
"Grundsätzlich ist es so, dass diese Familien in den Fokus geraten sind, weil sie eigentlich auf eine sehr lange Geschichte der Diskriminierung zurückblicken. Also es sind überwiegend Menschen, die damals nach dem Krieg im Libanon nach Deutschland gekommen sind und die dann lange lange Zeit keinen gesicherten Aufenthaltsstatus hatten. Also sie hatten sogenannte Kettenduldungen und waren damit ausgeschlossen sowohl vom Arbeitsmarkt und hatten einfach große Probleme, hier integriert zu werden. Ihnen wurde das im Prinzip auch verwehrt."- Laila Abdul-Rahman

Dadurch, dass der Weg zum Arbeits- und Bildungsmarkt erschwert wurde, entwickelten sich auch einige soziale Probleme und Probleme im Bereich der Kriminalität sind entstanden, so Laila.
"Man muss eben dazu sagen, dass diese Familien nicht alle kriminell sind, so wie vielleicht das Bild in der Bevölkerung manchmal besteht, sondern dass sich ganz im Gegenteil ganz viele eben von einzelnen Personen, die vielleicht mit Kriminalität zu tun haben, doch stark auch abgrenzen. Und hier kommt dann eben so eine Vermischung, dass bestimmte soziale Probleme dann einfach mit Strafverfolgung bekämpft werden zustande. Und deswegen werden dann insgesamt diese Familien kriminalisiert."- Laila Abdul-Rahman

"Clan-Kriminalität": Wie groß ist das Problem wirklich?

Durch Medienberichterstattung und auch durch die eigene Statistik entsteht der Eindruck, dass es sich relativ gesehen um ein sehr großes Problem in Deutschland handelt. Aber welchen Anteil machen Straftaten sogenannter "Clans" denn überhaupt in der Statistik aus? Laut Laila ist es tatsächlich überraschend wenig.
"Tatsächlich ist es so, dass nur sieben Prozent der Verfahren wegen organisierter Kriminalität in Deutschland wegen sogenannten Clan-Verfahren geführt wurden – das ist jetzt die Zahl von 2022, neuere haben wir da jetzt im Moment noch nicht."- Laila Abdul-Rahman


Ein überschätztes Phänomen

Und auch in den vermeintlichen sogenannten "Hotspots" wie Berlin oder NRW machen diese Taten von sogenannten "Clan-Angehörigen" auch nur unter einem Prozent aller Straftaten in den jeweiligen Bundesländern aus. Die Zahlen zeigen also eindeutig, dass das Phänomen "Clan-Kriminalität", nicht zuletzt auch durch die Berichterstattung in den Medien, überschätzt wird, so Laila. So richtig versteht sie daher auch nicht, dass es immer wieder heißt, dass gegen "Clan-Kriminalität" vorzugehen zu den großen Aufgaben der Polizei gehört. Denn die Polizei arbeitet dadurch nicht nur gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern vergrößert das Problem sogar noch mehr. Neuere Studien von der TU Berlin zeigen, dass sich die Faktoren, die zu Kriminalität führen, nicht von anderen Menschen in der Gesellschaft unterscheiden. Zu diesen Faktoren gehören zum Beispiel Armut und Bildungsungerechtigkeit.
"Ich glaube, wenn wir uns vor allen Dingen nur auf bestimmte Herkünfte konzentrieren, dann machen wir eigentlich das Problem immer größer, weil die Spaltung in der Gesellschaft auch größer wird. Und davon mal abgesehen, dass wir hier wirklich ein Problem auch mit dem Diskriminierungsverbot haben aus meiner Sicht."- Laila Abdul-Rahman

Damit spricht sich Laila nicht gegen das polizeiliche Vorgehen gegen organisierte Kriminalität aus, sondern fordert lediglich, dass alle Menschen gleich behandelt werden. Denn ein großer Teil der vermeintlichen "Clan-Kriminalität" ist allgemeine Kriminalität und nicht unbedingt organisierte Kriminalität. Warum also eine Statistik führen, nur weil Menschen denselben Namen haben?

Die Folgen der Diskriminierung durch Clan-Kriminalität

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat letztes Jahr ein Diskussionspapier vorgestellt, mit dem Clan-Kriminelle ohne deutschen Pass leichter abgeschoben werden sollen. Daran gab es viel Kritik von Initiativen wie zum Beispiel "Kein Generalverdacht". Welche Folgen hat das für Betroffene mit einem bestimmten Namen – zum Beispiel in der Schule, bei der Wohnungssuche oder auf dem Arbeitsmarkt? Laila kennt viele Berichte von Personen, die diskriminiert werden und beispielsweise aufgrund ihres Nachnamens einfach keinen Job finden. Auch erzählt sie von Kindern, die als sogenannte "Clan-Kinder" in Schulen diffamiert wurden. Die Diskriminierung beschränkt sich aber nicht nur auf den Namen, sondern mittlerweile auf ganze Stadtteile. In Neukölln hatte sich deswegen auch "Kein Generalverdacht" gegründet, weil es hier zum Beispiel immer wieder Gewerbekontrollen gibt – in Cafés, Friseursalons oder Shishaläden.
"Diese Personen sagen, sie können gar nicht mehr vernünftig arbeiten, das ist massivst berufsschädigend, geschäftsschädigend,  weil zum Teil auch Kunden wegbleiben oder auch Kunden und Kundinnen während dieser Kontrollen auch von der Polizei kontrolliert werden. Und das ist natürlich eine sogenannte Streubreite sagt man, also dass einfach die Maßnahmen sehr sehr viele Menschen betreffen, die eigentlich gar nichts mit irgendwelchen Straftaten zu tun haben."- Laila Abdul-Rahman

Als Konsequenz findet Laila es wichtig, zunächst den Begriff Clan-Kriminalität nicht mehr zu verwenden. Außerdem sollte sich die Polizei gemäß den wissenschaftlichen Studien eben nicht mehr auf Familien, Namen oder ethnische Gruppen konzentrieren, sondern stattdessen auf organisierte Kriminalität und die entsprechenden Organisationen.

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