Steuern wir auf die Verkehrswende zu?

Steuern wir auf die Verkehrswende zu?

Thorsten Koska im Interview

Anlässlich der IAA dreht sich gerade alles um die Automobilindustrie und wir fragen uns deswegen: Tempolimit, E-Mobilität, besserer ÖPNV - wie gelingt denn nun die Verkehrswende?


Die IAA 2023: Innovationen für die Zukunft oder doch nur Greenwashing?

In dieser Woche treffen sich Vertreter*innen der Automobilindustrie auf der IAA, alles unter dem Motto: Elektromobilität und Nachhaltigkeit. "Greenwashing" sagt zum Beispiel Klimaaktivistin Luisa Neubauer, aber ganz ohne Auto geht's eben auch in Zukunft nicht, sagen Sprecher*innen der IAA. Über die Zukunft der Mobilität in Deutschland, Streitthemen wie Tempolimit und Co. haben wir mit Thorsten Koska gesprochen, er ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik am Wuppertal Institut für Klima, Energie und Umwelt. 
  • Thorsten Koska im Interview
    Das komplette Gespräch zum Anhören
  • Diskussion um das Tempolimit
    egoFM Reflexikon


Autonation Deutschland

Sei es Tempolimit oder autofreie Städte - warum tut sich Deutschland so schwer mit Einschränkungen in Bezug auf Autos? Das hat vor allem zwei Gründe, sagt Thorsten Koska: wirtschaftliche und psychologische.
Zum einen hat die Automobilindustrie eine starke Lobby, die Einfluss auf die Politik nimmt, zum anderen schafft die Industrie natürlich auch viele Arbeitsplätze, weswegen politische Entscheidungen immer auch weitreichende Konsequenzen mit sich ziehen.

"Das heißt, dass man diese politischen Entscheidungen trotzdem treffen muss, es ist aber ein Zielkonflikt, der sich dann eben darin ausdrückt." - Thorsten Koska

Abgesehen davon identifiziert man sich in Deutschland sehr stark der mit der Automobilbranche, führt Thorsten Koska weiter aus. Und das kann auch in der Bevölkerung die ein oder anderen Widerstände mit sich bringen. Dieser Zustand ist aber nicht unveränderbar.

"Immer da, wo wir sehen, dass Menschen andere Mobilitätserfahrungen machen, können sie auf's Auto verzichten. [...] Ökonomisch betrachtet: Dort, wo Mobilitätsbranchen transformiert werden und wo man sieht, man kann auch mit anderen Dingen Arbeitsplätze, Gewinne und so weiter erwirtschaften, funktioniert auch das. Das heißt, es ist kein System was unveränderbar ist." - Thorsten Koska


Notwendige Maßnahmen für die Verkehrswende

Elektromobilität

E-Autos müssen differenziert betrachtet werden, etwa wegen der Herstellung und Lebensdauer von Batterien oder dem Strombedarf. Thorsten Koska kann trotzdem ganz klar sagen: Wenn wir von Autos sprechen und dort eine Alternative suchen, dann sind Elektroautos mit Abstand die klimafreundlichste und auch umweltfreundlichste Lösung. Trotz der Probleme. Denn wenn der gesamte Lebenszyklus eines E-Autos betrachtet wird, dann sind auch die Resourcen- und Energiebedarfe deutlich geringer als bei vermeintlichen Alternativen wie Wasserstoff oder Synfuel.

"Deshalb ja, Elektroautos sind für PKW die sinnvollste Lösung." - Thorsten Koska

Kleinere Autos

Im Gegensatz zu deutschen Automobilherstellern setzt China vor allem auf kleine, leichte Fahrzeuge. Und das ist etwas, was sich Deutschland abschauen sollte, so Thorsten Koska.

"Die [deutschen] Hersteller haben keine Anreize, kleinere Fahrzeuge zu bauen, sie haben nur den Anreiz, möglichst viel Gewinne zu machen und das machen sie mit großen schweren Fahrzeugen." - Thorsten Koska

Für eine ressourcenleichtere und klimaschonendere Mobilität in der Zukunft braucht es deswegen politische Regeln, sodass sich große Autos nicht mehr lohnen und mehr kleinere - und natürlich auch weniger - Autos auf den Markt kommen. Auch das ist eine wichtiger Faktor neben der E-Mobilität.

Tempolimit

In den Koalitionsvertrag hat es das Tempolimit nicht geschafft. Dabei macht der Verkehrssektor ungefähr ein Drittel aller Treibhausgas-Emissionen in Deutschland aus und ein Tempolimit könnte diese Emissionen zumindest zu einem gewissen Teil minimieren, sagen Expert*innen.

Denn die Geschwindigkeit ist ausschlaggebend für die ausgestoßene Menge an CO2, das heißt: Je schneller man fährt, desto mehr Treibstoff wird verbraucht und desto mehr Treibhausgase wie CO2 werden auch freigesetzt. Oder anders gesagt: Je niedriger das Tempolimit ist, desto mehr CO2 könnte eingespart werden. Einer Studie des Umweltbundesamtes zufolge könnten durch ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen jährlich rund 6,7 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Eine andere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein Tempolimit von 130 immerhin ein bis zwei Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen könnte.

"Wir müssen im Klimaschutz im Verkehr aktuell alle Maßnahmen, die uns zur Verfügung stehen, einsetzen. Es reicht nicht mehr, sich auszusuchen, fördern wir den öffentlichen Verkehr, machen wir Tempolimit oder Elektromobilität - wir brauchen alles zusammen." - Thorsten Koska

Und dabei hat das Tempolimit sehr großes Potential, sagt Thorsten Koska. Nicht nur für den Klimaschutz, auch für den Gesundheitsschutz und die Reduzierung von Unfällen - das ist aber natürlich ein sehr emotional aufgeladenes Thema. Noch mehr Infos dazu findest du hier.

Die Verkehrspolitik ist auf dem Holzweg

Das sagt Thorsten Koska zusammenfassend so klar:

"Wir haben kein Mobilitätskonzept des Bundes. Es müsste überhaupt erstmal eine konzeptionelle Richtung geben, zu sagen, wir wollen Verkehrsverlagerung, wir wollen ganz viel Autoverkehr zum Beispiel auf die Schine bringen. Und danach dann auch wirkliche Pläne zu machen, wie viel Schiene muss ausgebaut werden, wo brauchen wir Nachtzüge, wo brauchen wir gute Radverkehrsnetze, wo muss auch im ländlichen Raum zum Beispiel an wichtigen Standorten Carsharing, Bikesharing aufgebaut werden [...]. Wenn wir einen solchen Plan haben, dann können sowohl der Bund, als auch die Länder, als auch die Kommunen an den richtigen Stellen investieren. Diesen Plan gibt es aber nicht." - Thorsten Koska



Noch mehr Artikel von uns zum Thema Mobilität findest du hier. Wir haben zum Beispiel mit Andreas Barth von Pro Bahn darüber gesprochen, wie es gelingen kann, dass mehr Menschen den Zug nutzen, das Interview gibt's hier

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